Slowenien und Kroatien: Der holprige Weg in die Souveränität

Wer die beiden Republiken in den vergangenen zwanzig Jahren beobachtet hat, kann über die erbrachten Leistungen nur staunen.

Gastkommentar

Zwanzig Jahre in der Existenz der Völker – nicht mehr als ein Hauch. Zwanzig Jahre in der Existenz von Slowenien und Kroatien – es scheint wie eine Ewigkeit. Denn wer erinnert sich eigentlich noch an jene Tage im Juni 1991, als Jugoslawien auseinanderbrach, als sich in Europa eine Kriegsgefahr andeutete, als Flüchtlinge nach Österreich und Deutschland hereinströmten?

Und heute? Beide Länder haben sich zu stabilen Staatsgebilden entwickelt: Slowenien ist seit 2004 Teil der EU, seit 2007 auch Mitglied im Euro-Währungsverbund. Kroatien hat nach langen Jahren des Wartens in diesen Tagen die Zusicherung aus Brüssel bekommen, im Sommer 2013 ebenfalls der Europäischen Union anzugehören. Nichts scheint heute mehr auf die Krisensituation hinzudeuten, die den Prozess um die Souveränität damals begleitete.

Begonnen hatte diese Entwicklung schon Ende der 1980er-Jahre, als in Serbien Slobodan Milošević immer mächtiger wurde und immer deutlicher zeigte, dass er aus Jugoslawien ein Großserbien machen wollte, und sei es – wie er bei der 600-Jahr-Feier der Schlacht auf dem Amselfeld kaum verhüllt drohte – mit Krieg.

Die beiden Nord-Republiken, die für die gescheiterte kommunistische Wirtschaftspolitik bezahlten, erkannten nun endgültig, dass sie das Joch der Belgrader Diktatur abschütteln mussten, wollten sie nicht gemeinsam untergehen.

In herzlicher Abneigung

So entschlossen sich Slowenien und Kroatien (die sich freilich auch in herzlicher Abneigung gegenüberstanden – und stehen), in Referenden die Zustimmung des Volkes für die Souveränität einzuholen. Mit jeweils rund 90 Prozent stimmten die Bürger für die Selbstständigkeit, die sie am 26. Juni feiern wollten. Diese Feier aber geriet kabarettreif: Kroatien wollte unbedingt schneller sein, verlegte die Feier auf den 25. Juni, Slowenien folgte (gezwungenermaßen), gab aber insofern nach, als man die Feier eine Stunde später ansetzte.

Was nun folgte, belegt endgültig das Scheitern des Vielvölkerstaates: Schon zwei Tage später, am 27. Juni, erklärte die Jugoslawische Volksarmee Slowenien den Krieg, marschierte ein.

Die „amoklaufende Armee“ (so der damalige deutsche Außenminister Genscher) hatte vom Generalstab den Befehl, „rücksichtslos zu bombardieren“. (Auch wir Journalisten lagen flach im Straßengraben, als die Kampfjets über uns hinwegdonnerten; zwei österreichische Kollegen wurden in den ersten Tagen erschossen.)

Doch es kam anders, als sich die Belgrader Panzerkommunisten vorgestellt hatten: Die slowenische Territorialverteidigung schlug zurück, nach elf Tagen war der Krieg hier zu Ende – er ging dafür in Kroatien noch ein halbes Jahr weiter. In der Entwicklung Sloweniens ging es seit jenen Tagen kontinuierlich bergan; nicht so beim Nachbarn. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman, schockiert vom erbärmlichen Verhalten der Europäer in diesem Konflikt, übernahm die nationalistische Politik seines serbischen Gegenübers und ignorierte fortan konsequent den europäischen Wertekatalog.

Das sollte Folgen haben – bis in unsere Tage. Die Tatsache, dass Kroatien – fraglos bezüglich Demokratie, Kultur und Rechtsempfinden viel „europäischer“ als zum Beispiel Rumänien und Bulgarien – erst 2013 Mitglied der EU sein wird, geht zurück auf die antieuropäische Politik des Autokraten Tudjman, der bis 1999 regierte.

Ein wesentlicher Stolperstein war die Frage der Verfolgung von Kriegsverbrechern. Im Wesentlichen ging es da um die Vorgänge in der „Krajina“, jenem kroatischen Gebiet, das bis 1995 von den Serben besetzt war. Besetzt? Die serbischen Extremisten haben hier gewütet, ganze Ortschaften ausgelöscht, ein Regime der Verfolgung und des Terrors installiert.

Herkulesaufgaben bewältigt

Wer dies erlebt hat (ich war immer wieder dort, oftmals auch Opfer serbischer Schikanen), wird die Arroganz nur schwer verstehen können, mit der Richter in Den Haag kroatische Generäle verurteilt haben.

Kein Wunder dann auch, dass die Zustimmung zum „Projekt Europa“ inzwischen auf 52 Prozent gesunken ist, auch wenn Staatschef Ivo Josipović jubelt: „Wir öffnen ein neues Kapitel unserer Geschichte.“ In der Tat hat Kroatien in diesen 20 Jahren eine Herkulesaufgabe bewältigt.

Fünf Jahre Krieg, bei dem ein Drittel des Landes besetzt war (und vom Aggressor nicht selten verbrannte Erde hinterlassen wurde, Kirchen und Schlösser zerstört wurden, mit dem Ziel, die kroatische Kultur zu treffen, wie ich immer wieder erschüttert beobachten konnte), ein Flüchtlingsdrama – rund 300.000 Menschen wurden vertrieben – das war die Ausgangslage. Heute ist Kroatien eine stabile Demokratie, die sich zu Recht dagegen wehrt, mit dem Begriff Balkan in Verbindung gebracht zu werden.

Nicht alles Gold, was glänzt

Gleiches gilt natürlich auch für Slowenien. Die rasche Annäherung an Europa als Musterknabe, mit einer stabilen, exportorientierten Wirtschaft und problemfreier, demokratischer Gesellschaftspolitik, ist nach wie vor kennzeichnend für das Land der Alpengipfel und Weinberge. Trotzdem, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Bis heute sind die AVNOJ-Dekrete (das jugoslawische Gegenstück zu den tschechischen Beneš-Dekreten) in Kraft, wird die kleine Gruppe der deutschsprachigen Bevölkerung im Raum Gottschee ignoriert, zum Teil sogar unterdrückt.

Auch gegenüber dem Nachbarn hat sich Slowenien in der jüngsten Vergangenheit nicht eben durch Großzügigkeit ausgezeichnet. Der jahrelange Streit um eine Grenzziehung in der Bucht von Portorož, wo Kroatien Anspruch auf einen Teil der Bucht erhob, wurde von Ljubljana instrumentalisiert, führte unter anderem dazu, dass Kroatien auf die Mitgliedschaft in der EU lange warten musste.

Angeheizt wurde der Streit zusätzlich noch dadurch, dass slowenische Nationalisten (von denen es nicht wenige gibt) Anspruch auf einen Teil Istriens erhoben, was natürlich die kroatischen Nationalisten (von denen es ebenfalls viele gibt) zu Revanchefouls animierte.

Teile Mitteleuropas

Beide Länder lassen heute keinen Zweifel daran, dass sie – ihrer Geschichte entsprechend – Teile Mitteleuropas sind und sich als solche dem europäischen Wertesystem verpflichtet fühlen. Da mag es vereinzelt (in den letzten Jahren eher in Kroatien) noch Fälle von Korruption geben; da mögen manche Politiker den Staat als einen Selbstbedienungsladen zur persönlichen Bereicherung missbrauchen (aber das gibt es in Mitteleuropa überall); da fällt es nicht selten schwer, alte kommunistische Seilschaften zu kappen (eher in Slowenien); da leidet man an der weltweiten Wirtschaftskrise mehr als andere (als Folge des Krieges).

Und trotzdem: Wer Slowenien und Kroatien in den vergangenen 20 Jahre beobachtet hat, kann nur staunen, wie eindrucksvoll beide Länder ihre Souveränität bisher bewältigt haben.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comProf. Detlef Kleinert (*1941 in Breslau) ist Journalist und Buchautor. Er arbeitete 20 Jahre für die ARD als Korrespondent, berichtete in den 1990er-Jahren über die Balkankriege. Zuvor Entwicklungshelfer in Fidschi.

Publikationen: „Inside Balkan“ (1993), „Wenn Tito das wüsste“(2008). [Bayerischer Rundfunk]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2011)

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