Gutachten von Missbrauchsopfer per Ferndiagnose

Gutachten Ferndiagnose Missbrauchsopfer
Gutachten Ferndiagnose Missbrauchsopfer(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Eine 45-Jährige hat mehrere hochrangige Kirchenvertreter angezeigt. Ein Psychiater erstellte ein Gutachten, ohne die Frau getroffen zu haben. Stattdessen dienten SMS und E-Mails als Basis.

Im jüngsten Fall von angeblichem sexuellen Missbrauch durch Vertreter der katholischen Kirche herrscht nun Aufregung um ein entlastendes Gutachten. Im Ö1-"Morgenjournal" haben am Freitag sowohl ein Experte als auch Patientenanwalt Gerald Bachinger Zweifel an der Wissenschaftlichkeit des Gutachtens geäußert.

Ein hoher Geistlicher hat den von einer heute 45-jährigen Frau gegen ihn erhobenen Vorwurf der sexuellen Nötigung, die sich bereits 1994 ereignet haben sollen, entschieden zurückgewiesen. Dabei argumentierte er auch mit einem Gutachten des Grazer Psychiaters Peter Hofmann, der bei der Frau eine psychische Erkrankung und eine "emotional instabile Persönlichkeit (Borderline)" diagnostiziert hatte.

SMS und E-Mails als Basis

Die Frau hat nun Beschwerde bei der Ärztekammer eingebracht, weil sie von dem Gutachter nicht untersucht oder befragt worden sei. Basis des Gutachtens sollen mehr als 1000 SMS und E-Mails gewesen sein, die die Frau an den Geistlichen geschickt haben soll. Die Ärztekammer will die Beschwerde prüfen.

Patientenanwalt Bachinger bezeichnete es im "Morgenjournal" als "sehr problematisch", wenn ein Gutachten nur auf schriftlichen Unterlagen basiere und nicht auch auf einer persönlichen Untersuchung, was "fast unabdingbar" wäre. Der Leiter des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol und Präsident der österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Christian Haring, betonte ebenfalls, dass neben schriftlichen Unterlagen auch die persönliche Untersuchung ganz bedeutsam und wichtig sei.

Ein Sprecher des beschuldigten Geistlichen erklärte dazu, Aktengutachten seien eine "anerkannte Methodik". Fakt sei, dass es auch in anderen Fällen Aktengutachten "in Hülle und Fülle" gebe. Hofmann hat am Freitag per E-Mail seine Mitgliedschaft in der Gesellschaft für Psychiatrie aufgegeben. Über die Gründe machte er keine Angaben.

(APA)

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