Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn auf freiem Fuß

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Die Staatsanwaltschaft sieht die Glaubwürdigkeit des angeblichen Opfers durch Lügen und Verbindungen ins Drogenmilieu erschüttert, sie verstrickte sich angeblich im Laufe der Ermittlungen immer stärker in Widersprüche.

Washington. Seine Nachfolgerin an der Spitze des Internationalen Währungsfonds in Washington, die Französin Christine Lagarde, ist bereits bestellt. Das Feld der sozialistischen Kandidaten für den Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich ist so gut wie komplett. Doch eine sensationelle Wende im Fall Dominique Strauss-Kahn, dessen Causa die personellen Turbulenzen diesseits und jenseits des Atlantiks erst herbeigeführt und die Grande Nation in eine Sinnkrise gestürzt hatte, könnte nun alles wieder durcheinanderwirbeln.

Der 62-Jährige, der vor sieben Wochen am New Yorker JFK-Airport Minuten vor dem Abflug aus einer Air-France-Maschine abgeführt wurde, weil er des sexuellen Missbrauchs an einem afrikanischen Zimmermädchen verdächtigt wird, steht zumindest vor einer teilweisen Rehabilitierung: Er wurde am Freitag auf freien Fuß gesetzt. Der New Yorker Staatsanwaltschaft, die noch vor wenigen Wochen felsenfest von der Schuld des prominenten Angeklagten überzeugt war, kamen nämlich plötzlich profunde Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Kronzeugin.

Die 32-jährige, aus Guinea gebürtige Immigrantin in Diensten des Sofitel-Hotels, verstrickte sich angeblich im Laufe der Ermittlungen immer stärker in Widersprüche und Lügenkonstrukte. Über ihr Vorleben hatte die aus einer gläubigen Moslem-Familie stammende Witwe behauptet, sie sei Opfer einer Vergewaltigung gewesen – und zudem einer Beschneidung der Klitoris. In ihrem Asylantrag ist indes davon keine Rede, und auch bei den Recherchen fanden sich dafür bisher keine Anhaltspunkte.

Drogenschmuggel und Geldwäsche

Schwerer wiegen ihre Verbindungen zum kriminellen Milieu. Die Behörden werfen ihr Beihilfe zu Drogenschmuggel und Geldwäsche vor. Innerhalb von 24 Stunden nach der angeblich versuchten Vergewaltigung in der Hotelsuite hat sie laut „New York Times“ einen offenbar befreundeten Häftling angerufen und sich darüber ausgelassen, wie viel „Schmerzensgeld“ sie aus der Affäre herausholen könnte. Das Telefonat mit dem Mann, der wegen des Besitzes von rund 200 kg Marihuana einsitzt, wurde abgehört.

Er gehört zu jenem Kreis, der insgesamt 100.000 Dollar auf das Bankkonto der Frau überwiesen hat. Sie erklärte, das Geld stamme von ihrem „Verlobten“ und dessen Freunden, sie habe damit nichts zu tun. Angesichts ihres eher kargen Salärs als Zimmermädchen erregte überdies ihre monatliche Telefonrechnung von mehreren hundert Dollar Verdacht. Hotelangestellte und Bekannte hatten die 32-Jährige als fleißig und anspruchslos beschrieben. Nach dem neuen Stand der Erkenntnisse ergibt sich jetzt aber ein völlig anderes Bild.

Sie beschuldigte Strauss-Kahn, sie in seiner Hotelsuite splitternackt angefallen und zum Oralsex gezwungen zu haben. Einer Vergewaltigung habe sie sich durch Flucht entziehen können. Hotelangestellte und Polizei schilderten die Eindringlichkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Vorwürfe. Vor Gericht bestätigte überdies Staatsanwalt John McConnell die „überzeugenden Details“ der Sexattacke, er sprach von einer „zwingenden Darstellung“ des Opfers. Jetzt fürchtet die Staatsanwaltschaft, dass ihre Version im Kreuzverhör zerpflückt werden könnte.

Strategie der Staranwälte ging auf

Benjamin Brafman und William Taylor, die teuren Staranwälte Strauss-Kahns, haben sich in ihrer Verteidigungsstrategie von vornherein darauf festgelegt, auf einvernehmlichen Sex zu plädieren. Die DNA-Beweise, die Samen auf dem Kittel des Zimmermädchens und auf dem Teppich belegen, sind unumstößlich. Sie hatten zudem angekündigt, die Glaubwürdigkeit der Klägerin zu erschüttern – und das ist ihnen in vollem Ausmaß gelungen. Die Blamage richtet sich indes gegen die Vertretung der Anklage, die sich mit Feuereifer in die Causa gestürzt hatte, aber offenbar das nötige Augenmaß vermissen ließ und blindlings gegen den Angeklagten vorging.

In Frankreich fühlen sich viele in ihrem Instinkt gegen die „amerikanische Schaujustiz“ bestätigt. Die sozialistische Parteichefin Martine Aubry sprach von einem „Albtraum“, Freunde spekulieren über ein politisches Comeback. Für Dominique Strauss-Kahn ist die Affäre aber nicht ausgestanden – er ist zwar nun auf freiem Fuß, muss aber in den USA das weitere Procedere abwarten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2011)

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