Ortstafeln 1972: "Samma schon in Jugoslawien?"

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Es war ein schwieriger Weg bis zum Ortstafelgesetz, das nun beschlossen wird. Eugen Freund begann seine journalistische Karriere mit dem Kärntner Ortstafelsturm 1972. Für "Die Presse am Sonntag" erinnert er sich.

Donnerstag, 28.September 1972, 22.30 Uhr, St. Veit im Jauntal: Je zwei zivile Beamte am Ortsanfang und -ende. Frage: „Was machen Sie da?“ „Wir bewachen die Tafeln!“ „Machen Sie das privat?“ „Nein, wir sind von der Gendarmerie. Aber warum fragen Sie?“ „Ich bin von der Presse!“ „Ham S' an Ausweis?“ „Nein, ich frag Sie ja auch nicht nach Ihrem Ausweis. Gibt's was Besonderes?“ „No, ja, früher waren zehn Leute da und wollten die Tafeln wegnehmen. Das haben wir verhindert.“

In den folgenden Tagen kommt es überall in Südkärnten zu „Ortstafelaktionen“: entweder man schraubt die Hinweisschilder vor den Augen der Gendarmen, die sie bewachen (sollten) ab, oder man findet welche, die den Augen der Gesetzeshüter entgangen sind. Wenige Tage später werden wieder neue montiert, aber das Spiel der Ortstafelstürmer wiederholt sich.

Folgendes schrieb ich damals nieder: Dienstag, 3. Oktober 1972, 17.00 Uhr, Bahnhof Klagenfurt. Tipp über bevorstehende Aktion gegen Ortstafeln. Angeblich sollen sich um 19.00 Uhr im Gasthof Rabl (in St. Kanzian) Demonstranten treffen und von dort aus im Unterland Tafeln abmontieren. Um 19.45 Uhr in St. Veit/Jauntal: ca. 100 Personen am Ortsende, das Kärntner Heimatlied singend, haben eben einige Tafeln abmontiert. Darauf: „Wohin jetzt?“ „Auf nach Grabelsdorf!“ Bin um 20 Uhr bei Kreuzung Obersammelsdorf (Zvrhnje Zamanje)-Turnersee-Klopeinersee. Nach und nach kommen Autos, werden am Straßenrand abgestellt. Zwei Gendarmen in Zivil: „Was wollen's da?“ „Wir holen die Tafeln!“

Die verblüfften zwei Gendarmen, die die Schilder bewachen, kommen erst gar nicht dazu, irgendetwas zu unternehmen. Aus den Autos steigen 150 bis 200 Leute, denen es in wenigen Minuten gelingt, drei der vier Hinweisschilder zu demontieren, wobei man sich anfänglich sogar darüber streitet, ob man sie samt den Ständern entfernen und was mit der einen einsprachigen Tafel geschehen soll. Man einigt sich schließlich darauf, die zweisprachigen abzumontieren („A hot wer an Zehnerschlissel do?“) und die deutschsprachigen stehen zu lassen.

Mittlerweile sind auch Streifenwagen erschienen, deren Besatzung es gelingt, eine der Tafeln im Wagen zu verstauen. Das löst wiederum einigen Unmut unter den Demonstranten aus; sie versuchen, die Beamten zu überreden, die Tafel herauszurücken. Nachdem dies scheitert, umstellen sie das Fahrzeug und hindern es am Wegfahren. Dem Beamten, der das Fahrzeug steuert, ist das sichtlich zuviel: er gibt Vollgas, wobei sich die Demonstranten nur durch einen Sprung zur Seite vor dem Überfahren retten können.

Ich selbst werde wüst beschimpft: „Verräter“ etc., Drohung mit Hitler, Slowenen, Endlösung. Dann, auf meinen Einwand „Wenn man bei der Aktion dabei ist, muss man damit rechnen, dass man auch in der Zeitung erwähnt wird“, will sich Siegfried P. an mir abreagieren, wird aber von der Gendarmerie daran gehindert. Den Abschluss des nächtlichen Spuks bildete das Absingen des Kärntner Heimatliedes. Dies gelingt nicht zuletzt deshalb besonders gut, ist doch bei der Aktion der fast vollständig erschienene Männergesangsverein von St. Kanzian anwesend. Ich fahre nach 45 Minuten ab. Im verdunkelten Haus hole ich das Notwendigste und schlafe auswärts. Ich informiere den Posten Eberndorf telefonisch und bitte ihn, auf den Streifenwegen auch bei unserem Haus vorbeizufahren.

Wer waren diese Leute, die sich nicht scheuten, unter den Augen der Gendarmerie und den Blitzlichtern der Presse gegen bestehende Gesetze vorzugehen; was veranlasste sie, das zu tun? Vor allem zu Beginn der Aktionen konnte man merken, dass die vorwiegend jugendlichen Teilnehmer einfach dabei sein wollten – die Aktionen vom 3. Oktober hatten den Charakter eines Volksfestes. Die Organisatoren, aktive Mitglieder von ÖVP und FPÖ, sprachen über Jugoslawien, als sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis dieser Teil Südkärntens unter kommunistische Herrschaft fällt.

Der Tenor der ablehnenden Meinung lag darin, dass der Schritt von zweisprachigen Ortstafeln bis zur neuerlichen Einverleibung durch den Nachbarn nur ein geringer sei. „Wir wollen nicht wieder erleben, dass wir unsere Kinder vor den Partisanen in Schutz nehmen müssen, wie es unsere Eltern getan haben“, sagte ein Taxiunternehmer, zugleich ÖVP-Gemeinderat und einer der Sprecher der Demonstranten. Ein Tischlermeister aus Eberndorf meinte: „Ich spreche Russisch und Slowenisch, aber ich möchte trotzdem nicht, dass in diesem deutschen Kärnten zweisprachige Tafeln aufgestellt werden.“ Die Hauptargumente bezogen sich auf den Fremdenverkehr (Übernachtungszahl 1971: rund 800.000): „Was wern die Deitschn sogn, wann alles auf Slowenisch steht – samma schon in Jugoslawien?“

Kreisky beschimpft. Bruno Kreisky, der als Kanzler mit der Überraschungsaktion den Unmut eines Teils der Kärntner Bevölkerung ausgelöst hatte, stellte sich im Oktober 1972 seinen Kritikern. Es war jenes Ereignis, das durch den Ausspruch Kreiskys berühmt wurde: „Ein Bundeskanzler verlässt ein Gebäude nicht durch die Hintertür.“

Dass ihm diese Möglichkeit überhaupt angeboten wurde, verdankte er den Demonstranten, die sich vor der Klagenfurter Arbeiterkammer aufgestellt hatten und dem Kanzler lautstark – um nicht zu sagen: brüllend – klarmachen wollten, was sie von ihm und der Ortstafellösung hielten. Aber noch war der Bundeskanzler im Saal. Auch in diesem Fall muss ich mich nicht auf mein Gedächtnis verlassen, sondern kann auf schriftliche Unterlagen zurückgreifen, die ich nach dieser Veranstaltung verfasste:

Am 20. September 1972, die letzten Sommergäste hatten eben das Land verlassen, wurde gegen halb sieben in der Früh in Keutschach erstmals die bisher deutschsprachige gegen eine zweisprachige Ortstafel ausgetauscht. Um diese vor Übergriffen zu schützen (einzelne Aktionen ließen das befürchten), ordnete daraufhin die Landesregierung die Bewachung der Tafeln durch Gendarmen an – zur Unterstützung holte man sich 150 Beamte aus den benachbarten Bundesländern.

Kreisky wollte mit seinem Erscheinen in Klagenfurt nicht nur zeigen, dass er sich seinen Kritikern stellt, sondern auch Ruhe einkehren lassen. „Ich bin nicht hierher gekommen, um jemanden zu verurteilen, wohl aber kommt es drauf an, die Dinge gründlich zu prüfen, ehe man nachgibt.“ Als er dann erwähnte, sein Vorgänger (Josef Klaus) habe sich bemüht, das Klima mit dem benachbarten Jugoslawien zu verbessern, drangen von draußen Pfiffe in den Veranstaltungssaal. „Sollen wir uns von ein paar pfeifenden Gassenbuben die guten Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten stören lassen?“, wich Kreisky von seinem Manuskript ab, sorgte damit aber nur für größeren Unmut. Dann machte der Kanzler Vorschläge, wie er sich die Lösung des Problems vorstellte. Unter anderem wollte er die Ortstafeln mit rot-weiß-roten Streifen und den Kärntner Farben versehen lassen. „Es wird eine Lösung geben, die auf die Gefühle der Kärntner Rücksicht nimmt, aber auch den Verpflichtungen des Staatsvertrages und der europäischen Gesinnung entspricht.“

Im Jahre 2009 wurde ich am Vorabend des Österreichischen Nationalfeiertags vom Slowenischen Kulturverein „Zarja“ in Bad Eisenkappel/Železna Kapla eingeladen, über die Volksgruppenproblematik zu sprechen. Ich war selbst überrascht, als ich auf der Suche nach den Unterlagen zu diesem Thema ein Kuvert fand, das mein Vater in seiner Handschrift mit „Slowenenproblem“ überschrieben hatte.

Und darin waren mehrere Zeitungsartikel aus den Jahren 1959 und 1964 enthalten, also lange bevor die Volksgruppenproblematik so richtig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt war. Diese Artikel zeigen sehr aufschlussreich, in welchem Umfeld – auch was die Medien betrifft – die Kärntner Slowenen in den Jahren nach dem Staatsvertrag 1955 lebten.

Aufgeheiztes Klima. Die „Kleine Zeitung” berichtete am 18. März 1959 über die Auseinandersetzung um das neue Schulgesetz, das dem verpflichtenden zweisprachigen Unterricht in Südkärnten ein Ende bereitete. „Die Reden, die Dienstag in einer Protestversammlung der slowenischen Organisationen in der Arbeiterkammer gehalten wurden, waren nicht gerade dazu angetan, dem Ansehen Österreichs und dem Frieden zu dienen,” heißt es gleich in den ersten Zeilen. Und weiter: „Es fehlte nicht an handfesten Drohungen gegen die beiden Großparteien, denen sowohl die christlichen Slowenen als auch die Linksradikalen vorwarfen, sie würden die Minderheit nur kennen, wenn es Wahlen gebe.”

In der gleichen Ausgabe der „Kleinen Zeitung” erschien noch ein weiterer Artikel, der sich mit dem zahlenmäßigen Niedergang der slowenischen Volksgruppe in Kärnten befasste. In diesem umfassenden Bericht sind ein paar hochinteressante, wenn auch historische Zahlen enthalten: So waren im Jahre 1880 in Velden am Wörthersee 15,2 Prozent, in Maria Wörth 2,1 Prozent, in St. Kanzian gar nur 1 Prozent und in Eberndorf 8,8 Prozent – und jetzt kommt der Clou! – „Deutsche gemeldet“. Bei der Volkszählung 1951 besaßen die beiden letztgenannten Gemeinden dann bereits deutsche Mehrheiten.“ (Man beachte, dass damals offenbar kein Unterschied zwischen „Deutschen” und „deutschsprachigen” gemacht wurde?)

Der (ungenannte) Autor lieferte auch gleich eine Erklärung an: für ihn waren es „wirtschaftliche Gründe, die auch in der geringen Geburtenzahl ihren Ausdruck finden, nicht zuletzt die Landflucht, die die letzten Ursachen für den Rückgang der slowenischen Volksgruppe sind.”

Fünf Jahre später – wir sind jetzt im Jahr 1964 – findet sich in der Tageszeitung „Die Presse“, die mein Vater ebenfalls aufgehoben hatte, ein ausführlicher Bericht von Felix Gamillscheg über die Slowenen. Darin heißt es zum Thema „zahlenmäßige Stärke der Volksgruppe“: „Was tut es wirklich, ob sich nun 15.000, 25.000 oder gar 50.000 Menschen zur Minderheit zählen und bei der Feststellung ihre Stimme abgeben? Muss Österreich nicht schon wegen des Gegenrechts, das es in Südtirol fordert, alles tun, um die Slowenen zufriedenzustellen?“

Dieser großzügige Ansatz, jetzt schon fast ein halbes Jahrhundert alt, sollte sich – um bei einem gebräuchlichen Terminus zu bleiben – bis heute als Minderheitenfeststellung erweisen.

Geschichte

1955
wurden den Kärntner Slowenen im Staatsvertrag zweisprachige Ortstafeln zugesagt. Erst 1972 wurden diese dann aufgestellt – und gleich wieder ausgerissen.

1977
wurden auf Basis des neuen Volksgruppengesetzes erneut Tafeln aufgestellt – in Orten mit einem Slowenenanteil von über 25 Prozent.

2001
wurde die alte Ortstafelregelung vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Seither wurde auf politischer Ebene verhandelt.

2011
gelang dann der Druchbruch. Unter Verhandlungsführung von Staatssekretär Josef Ostermayer einigte man sich auf einen Kompromiss: Alle bestehenden zweisprachigen Tafeln bleiben bestehen, neue Tafeln in Orten mit über 17,5 Prozent Slowenenanteil kommen hinzu. Am 6. Juli wird dies im Parlament beschlossen. Danach sollen in Südkärnten insgesamt 164 zweisprachige Ortstafeln stehen.

Zum Autor

Eugen Freund
Geboren am 15.4. 1951 in Wien, aufgewachsen in Kärnten, ist seit 1972 im Journalismus tätig. Nach Tätigkeiten beim „profil“ und in der Hörfunk-Innenpolitik wechselte er 1978 ins Außenministerium, wo er Pressesekretär des Ministers war. Später war er beim Österreichischen Presse- und Informationsdienst in New York. 1986 kam er wieder zum ORF: erst als Moderator der ZIB 2, dann im Bereich der Innen- und Außenpolitik. Von 1995 bis 2001 war er ORF-Korrespondent in Washington. Zur Zeit moderiert er die „Zeit im Bild“.

»Zeit in Bildern«
Eugen Freunds Buch, in dem er vier Jahrzehnte auch fotografisch dokumentiert, u. a. auch den Ortstafelsturm, erscheint im Herbst 2011.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2011)

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