Integrationspolitik ist kein Showprogramm

In den Schulen entscheidet sich, ob Integration erfolgreich funktioniert. Schulschwänzende Kinder sind da aber nur ein Randthema.

Sebastian Kurz hat sich in den ersten Monaten seiner Amtszeit erstaunlich gut geschlagen. Der Staatssekretär, den viele für zu jung und sachlich zu wenig versiert für ein Regierungsamt hielten, ist zumindest einmal den massenhaft herumstehenden Fettnäpfchen geschickt ausgewichen und hat aus der Not eine Tugend gemacht und den Praktikern im Bereich Integration aufmerksam zugehört. Das ist schon mehr als viele andere Politiker von sich behaupten können.

Spätestens mit der Präsentation des Integrationsberichts ist jetzt aber die Schonfrist vorbei und Kurz wird Farbe bekennen müssen. Da wird es nicht mehr reichen, den Satz „Deutsch lernen ist der Schlüssel zur Integration“ wie ein Mantra vor sich herzutragen. Die Aussage ist zwar richtig, aber es ist ja ein Wesensmerkmal von Banalitäten, dass sie Sachverhalte korrekt beschreiben. Nur kommt man damit allein halt nicht sehr weit. Integration ist ein komplexes Thema, dem nicht mit schlichten Botschaften beizukommen ist.

Der Integrationsbericht gibt der Regierung da ein sehr hilfreiches Werkzeug in die Hand. Die Beamten im Staatssekretariat haben sehr solides Datenmaterial zusammengetragen, das die Problemfelder rund um das Thema Migration recht präzise beschreibt – abseits von Schönfärberei oder populistischer Übertreibung.

Das Kernthema ist die Bildung. Nicht, weil andere Bereiche wie Sicherheit, Arbeitsmarkt oder die Wohnsituation von Migranten nicht wichtig wären, sondern weil hier die Weichen für die Zukunft des Landes gestellt werden. Natürlich ist es erschreckend, wenn die Kriminalitätsrate ausländischer Staatsbürger je nach Berechnung zwischen 2,8 und viermal so hoch ist wie bei Österreichern. Und natürlich wird man der erhöhten Arbeitslosenrate von Migranten – ausgelöst durch ein niedrigeres Bildungsniveau – vermehrte Aufmerksamkeit schenken müssen.

Aber: Wenn es nicht gelingt, die Schulkarrieren von jungen Migranten positiv zu beeinflussen, wird das Thema perpetuiert. Dann werden wir auch in 30Jahren noch über Kriminalität und Arbeitslosigkeit der zweiten und dritten Generation diskutieren.

Und es ist auch ein Irrglaube, zu meinen, mangelnde Bildung sei nur ein Problem der Migranten. Wenn in einer Stadt wie Wien jedes zweite Schulkind einen Migrationshintergrund hat, dann wird deren mangelnde Schulbildung auch zu einem ökonomischen Problem für die gesamte Gesellschaft. Wenn ganze Bevölkerungsschichten von höherer Bildung praktisch ausgeschlossen sind und ein erheblicher Teil nicht einmal den Pflichtschulabschluss schafft, führt das zu einem Wettbewerbsnachteil für Österreich.


Genau an dem Punkt setzt die eigentliche Arbeit von Integrationspolitik an. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen ist notwendig, um gegenzusteuern. Um nur einige zu nennen: Sprachförderungsprogramme schon ab dem Kindergarten (aber nicht nur dort); Mentoringprogramme, um benachteiligte Jugendliche zu höherer Bildung zu führen; spezielle Ausbildungsprogramme für Lehrer; Forcierung von muttersprachlichem Unterricht (was automatisch die Fähigkeit fördert, die Fremdsprache ordentlich zu erlernen).

Sebastian Kurz kennt all diese Vorschläge natürlich, der Integrationsbeirat unter Führung des Wissenschaftlers Heinz Fassmann hat ihm dies und vieles andere vorgeschlagen. Nur: Er ist ein Staatssekretär ohne Mittel, er kann maximal etwas bewirken, indem er öffentlich Druck erzeugt.

Dass manche Eltern ihre Kinder am Schulbesuch hindern, mag zwar vorkommen (auch wenn der Integrationsbericht dazu keine Hinweise liefert) – angesichts der Gesamtproblematik scheint das aber doch eher ein Randthema zu sein. Wenn Kurz jetzt ausgerechnet das zu seinem Hauptanliegen macht und eine strengere Bestrafung der Eltern fordert, begibt er sich auf die politische Showbühne: Härte gegen Ausländer zu fordern kommt nun einmal gut an – Heinz Christian Strache und Maria Fekter spiel(t)en perfekt auf diesem Klavier. Ernsthafte Fortschritte in Richtung Integration erreicht man damit aber nicht.

E-Mails an: martin.fritzl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2011)

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