Unerträgliches österreichisches Krankheitsbild

Der respektvolle Dank Österreichs an die einstigen Partisanen, ein konsensuales „hvala partisanke“ für den im Widerstand gegen das NS-Terrorregime geleisteten hohen Blutzoll, wäre heute durchaus angebracht.

Schmerz kann beides sein – „eine rettende Warnung oder auch ein belastendes, manchmal schier unerträgliches Krankheitsbild an sich“, heißt es zur Schmerzsymptomatik auf einer medizinischen Website zu allfälligen Therapiemethoden.

Was die österreichische NS-Vergangenheit betrifft, tritt der Schmerz fast 70Jahre post festum chronisch und in regelmäßigen Abständen zutage – interessanterweise vor allem dort, wo bei anderen Gelegenheiten am allerliebsten der „Schlussstrich“ ausgerufen wird. Besondere Symptomatik: das Oszillieren zwischen Hysterie und Realitätsverlust, zwischen weinerlichem Selbstmitleid und depressiver Aggression, die sich mittels kruder Wortmeldungen ihren Weg an die Öffentlichkeit bahnt.

Die Sonne auf den Kopf gefallen

Anlassfall dieses Mal: die parlamentarische Debatte um Ab- und Anerkennung von Ehrenbürgerschaften, in deren Zuge der grüne Abgeordnete Harald Walser in einem durchaus distanzgeprägten Statement zu Tito und der jugoslawischen Volksarmee auf den Beitrag der Partisanen zur Befreiung Österreichs vom NS-Regime hingewiesen hatte.

Wie das Amen im Gebet folgte die Verortung der Wortmeldung als „Huldigung des kommunistischen Terrorregimes“, als „Verhöhnung der Opfer“, als „verdrehtes Geschichtsbild“. Abgeordnete, denen vor geraumer Zeit die Sonne nicht nur vom Himmel, sondern offenbar auch auf den Kopf gefallen ist, schäumen: „Tausende Kärntnerinnen und Kärntner“ seien Opfer der Tito-Partisanen geworden, die, wie man in Kärnten ohnehin schon seit Jahrzehnten predigt, mordend und plündernd durchs Land gezogen seien.

Und was nicht sein darf, kann's auch nicht geben: dass die „Banditen“– wie die Nazis die Partisanen seinerzeit zu nennen pflegten und wie man in Kärnten heute noch gerne sagt – tatsächlich zur Befreiung Österreichs beigetragen haben.

Das Jahr 1941 markierte den Überfall des Deutschen Reiches auf Jugoslawien, gefolgt von der gewaltsamen Besetzung des Landes und einer ungeheuren Terrorwelle gegen die dortige Bevölkerung. In Reaktion darauf bildeten sich erste Widerstandstruppen der „Befreiungsfront“, deren vorrangiges Ziel die Vertreibung der Besatzer war. Der NS-Terror zur Germanisierung der Gebiete, an dem übrigens zahlreiche Kärntner an führender Stelle mitwirkten, wurde gleichzeitig auch auf dem Boden der damaligen „Ostmark“ intensiviert.

Hier richtete sich der Terror vor allem gegen die kärntner-slowenische Bevölkerung, die schon vorher unter der repressiven NS-Politik stark gelitten hatte. Im Frühjahr 1942 wurden in einer ersten großen Deportationswelle rund 1000 Minderheitenangehörige „ausgesiedelt“. Ab diesem Zeitpunkt erhielten die jugoslawischen Truppen stetigen Zulauf aus den Reihen der Kärntner SlowenInnen.

Ein „Bandenkampfgebiet“

So massiv war der Widerstand, dass Himmler einige Kärntner Teilgebiete 1944 offiziell zum „Bandenkampfgebiet“ erklärte. Verschiedenen militärhistorischen Schätzungen zufolge band der Partisanenkampf zwischen 7000 und 10.000 Wehrmachtsangehörige an das heimatliche Frontgebiet, die anderswo fehlten. Ein gewaltiges Aufgebot im Verhältnis zur Größe des Gebiets. Es nützte nichts. Die PartisanInnen, unter Titos Volksbefreiungsarmee von den Alliierten mittlerweile als Verbündete anerkannt und mit Waffen unterstützt, leisteten bis zu Kriegsende erbitterten Widerstand.

Außergerichtliche Liquidationen

Am 8.Mai fungierte die jugoslawische Partisanenarmee kurzfristig als Besatzungsmacht in Kärnten, zog jedoch auf Druck der Briten wieder ab, um nicht die Frage der postnationalsozialistischen Neuordnung Europas zu präjudizieren: Jugoslawien forderte immerhin einige Kärntner Gebiete als Reparationsleistung.

Um diese kurze Phase der jugoslawischen Besatzung in Kärnten, exakt vom 8. bis 21.Mai 1945, geht es im Wesentlichen der ewig gestrigen Heimatphalanx von heute. Tatsächlich wurden in dieser Phase als verdächtige Nationalsozialisten eingestufte KärntnerInnen sowohl von britischen als auch jugoslawischen Behörden verhaftet. Von jenen Verhafteten, die nach Jugoslawien überstellt wurden, kehrten einige Personen wieder zurück, der größere Teil fiel außergerichtlichen Liquidationen zum Opfer, denen keinerlei rechtstaatliche Normen zugrunde lagen.

Wie aktuelle Forschungen zum Thema zeigen, geht es dabei allerdings nicht um „tausende Kärntner und Kärntnerinnen“, sondern um rund 350Personen. Keine Frage: Jedes einzelne Opfer ist eines zu viel. Die außerrechtsstaatliche Vorgangsweise Jugoslawiens ist zu verurteilen. Wer bitte sollte dies gar heroisieren wollen? Den Opfern und ihren Nachkommen gebührt Mitgefühl und seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung.

Bloß: Wozu diese Opfer nicht taugen, ist das stets ausbrechende revanchistische Triumphgeheul mit dem Ziel, die Widerstandsleistungen der jugoslawischen und kärntner-slowenischen PartisanInnen zu diffamieren. Unabhängig von nationaler Herkunft und individuellen Motiven hat ihr Widerstand aufseiten der Alliierten zu einer beträchtlichen Destabilisierung des regionalen NS-Systems beigetragen. Respektvoller Dank, ein konsensuales „hvala partisanke“ für den im Widerstand geleisteten hohen Blutzoll, wäre durchaus angebracht.

Stiller, tiefer Schmerz

In Kärnten gibt am Peršmanhof nahe Bad Eisenkappel seit 1982 ein kleines Widerstandsmuseum. Die Ausstellung ist mittlerweile in die Jahre gekommen. In Kürze findet mit Zustimmung des Kärntner Partisanenverbandes eine den aktuellen Forschungsergebnissen entsprechende Neugestaltung derAusstellung statt. Wie schon vor 30 Jahren hat das Land Kärnten eine Förderung des Projekts abgelehnt. So weit, so nichts Neues.

Um Heroisierung geht es bei der Neugestaltung nicht einmal den wenigen noch lebenden PartisanInnen. Von dieser Seite freut man sich schon über kleine Gesten: „Die Anerkennung einer Geschichte“, wie es der mittlerweile verstorbene Partisan Lipej Kolenik einmal formuliert hat, „mit der wir verurteilt sind zu leben“.

Es ist ein stiller, tiefer Schmerz, der die Widerstandskämpfer und Opfer des NS-Regimes bis heute umtreibt. Aus diesem Schmerz ließen sich durchaus demokratische Lehren ziehen. Allerdings: Das unerträgliche österreichische Krankheitsbild speist sich seit Kriegsende aus dem anderen, dem lauten, dumpfen Schmerzgeheul der Niederlage, in dem alle – auch Täter und Kriegsverbrecher – zu Opfern mutieren durften.

Österreich, das Opferland. Genau hier treffen sich Österreichs Konservative und der rechte Rand. Gemischter Satz amalgamiert zu brauner Suppe. Rezept? Frei nach Handke: Lesen Sie gefälligst!


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin

Lisa Rettl studierte Geschichte in Klagenfurt und promovierte zum Thema Partisanendenkmäler in Kärnten. Seither freiberufliche Ausstellungskuratorin und Historikerin mit Schwerpunkt Biografieforschung, Erinnerungskultur und Widerstand in Wien. Zuletzt gemeinsam mit Peter Pirker Autorin einer Täter-Studie zum österr. KZ-Arzt Sigbert Ramsauer (2010, Milena Verlag).
[Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2011)

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