Countdown für „Atlantis“: Spaceshuttle-Ära endet

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Eine Gewitterfront über Florida könnte den Abschiedsflug der letzten US-Raumfähre um Stunden, ja Tage verzögern. Bis zu eine Million Zaungäste stellen sich vor Ort auf eine längere Wartezeit ein.

Cape canaveral. Kommt Casey Anthony frei und startet „Atlantis“ plangemäß zu ihrem Abschiedsflug ins All? Zwei Fragen haben die USA und vor allem Florida dieser Tage in Bann geschlagen. Die erste drehte sich um den spektakulärsten Mordprozess seit O. J. Simpson, der in Orlando stattfand: um eine junge Mutter, die angeklagt war, ihre zweijährige Tochter erstickt zu haben. Die zweite Frage betraf den sentimentalen Salut für den vorläufigen Abschied der USA von der bemannten Raumfahrt.

Bis zu eine Million Zaungäste zog die 135. und letzte Mission eines Shuttles in den Orbit an die „Space Coast“ Floridas rund um das Eiland von Cape Canaveral. Die Hotels im weiten Umkreis sind voll. Ein letztes Mal beschert ihnen die Attraktion eines Shuttle-Starts eine Hausse. Viele Fans richteten sich darauf ein, zumindest das Wochenende auszuharren.

Für Freitag, 11.26 Uhr Ortszeit (16.26 MESZ), war die Zündung der Raketen programmiert, an Rampe 39 B war alles bereit, das vierköpfige Team unter Commander Chris Ferguson (darunter die Astronautin Sandra Magnus) war vorbereitet. Nur äußere Faktoren könnten den Countdown durchkreuzen, vor allem das Wetter, und die Prognosen stimmten pessimistisch: Eine für die Schwüle des Hochsommers nicht ungewöhnliche Gewitterfront könnte das Abschiedsfest in die Länge ziehen. Die Nasa gab die Chance eines Starts am Freitag mit 30 Prozent an.

Um die Fans nicht zu enttäuschen, wollte die Nasa zumindest bis Sonntag einen Start versuchen, sollte es heute nicht klappen, doch danach müsste man mindestens noch eine Woche warten. Sicherheit geht vor, kein Wölkchen soll den Ablauf trüben. Nasa-Chef Charles Bolden und seinen Leuten sind die Shuttle-Katastrophen der „Challenger“ und „Columbia“ anno 1986 und 2003, die das Raumfährenprogramm jeweils über Jahre stilllegten, in schmerzlicher Erinnerung. „Ich habe dabei viele Freunde verloren“, sagte Bolden bei einer Pressekonferenz wehmütig. Beide Schiffe erhielten damals trotz Warnungen das Startsignal.

Russen-Taxis für Amerikaner

Auch die vorletzte Mission der „Endeavour“ war vor mehr als zwei Monaten unter schlechten Vorzeichen gestartet. Der Start musste um zwei Wochen verschoben werden, obwohl sogar Präsident Obama samt Familie erschienen war.

Der letzte Flug eines Shuttle markiert das Ende einer technologischen Ära: Die in den 1970ern geplanten, 1981 erstmals gestarteten wiederverwendbaren Fähren, deren Ingenieure eine extreme Senkung der Raumflugkosten und die Expansion des Menschen bis über den Mond hinaus versprachen, erfüllten die Erwartungen keinesfalls: Mit bis zu 1,5 Milliarden Dollar kostet jeder Start hundertmal mehr als einst projektiert.

Da die USA völlig auf die Shuttles setzten, besitzen sie keine anderen Raumschiffe. Für bemannte Flüge, etwa zur Raumstation ISS, müssen nun Plätze in russischen Sojus-Kapseln gekauft werden, zum Preis von aktuell je ca. 44 Mio. Dollar, Tendenz steigend. Selbst für Frachtflüge zur ISS müssen russische, europäische oder japanische Frachter gemietet werden – nur für Satelliten haben die USA Raketen.

Frühestens 2016 könnte es neue bemannte US-Raumschiffe geben. Da auch die anderen ISS-Betreiber Europa und Japan noch kein solches Schiff haben, hat Russland damit über Jahre das Monopol auf Personentransporte zur ISS, was sich noch als politisch sehr heikel erweisen dürfte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2011)

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