Frischer Zauberbesen im Paradies des Kitschs

In Orlando in Florida macht ein Harry-Potter-Themenpark dem Platzhirsch Disney World Konkurrenz. Die britische Zauberwelt besticht durch die Liebe zum Detail.

Harry Potter fliegt. Und wie er fliegt. Den Zauberbesen zwischen den Beinen rast er durch die labyrinthartigen Verliese des Schlosses, stürzt über Klippen hinab, gleitet über die stürmische See, schwebt über Wälder, Wiesen und Hügel. In einer 3-D-Animation weist der Zauberlehrling den Gästen der Geisterbahn in halsbrecherischem Tempo den Weg durchs Joanne-Rowling-Universum um Schloss Hogwarts.

Er verführt die „Muggels“ – die Normalsterblichen ohne magische Kräfte – zu einem atemberaubenden, schwindelerregenden Parforceritt, zu fulminanten Salti, vorbei an zischenden, fauchenden Drachen, Spukgestalten, Spinnen und klappernden Skeletten. Kreischend schleudert es sie in ihren Sitzen hin und her, und hinterher steht den erschöpften Wilsons aus dem schottischen Larbert ein seliges Lächeln im Gesicht. Die vierköpfige Familie, Steven und Ruth mit ihren Buben David und Daniel, überquerte für die Reise in die schottische Fantasiewelt der Bestsellerautorin aus Edinburgh eigens den Atlantik.

Das Dorf Hogsmeade, das mit seinen windschiefen Kaminen, steilen Dächern, steinernen Giebelhäusern, engen Gassen und der schnaubenden Dampflokomotive eine Romantik des ausklingenden 19.Jahrhunderts evoziert, liegt im Themenpark der Universal Studios in Orlando in Florida. Dort, am Interstate 4, fädeln sich die Vergnügungsparks auf. Es gibt einen Holy-Land-Park für Bibelfans, die Sea World für Ozeanologen und natürlich Disney World, das die Entwicklung der Stadt mit heute 40 Millionen jährlichen Besuchern erst vorangetrieben und auf die Topografie des internationalen Tourismus gesetzt hat. Was Las Vegas für Gambler ist, das ist Orlando für Kids und jung gebliebene Erwachsene– ein buntes, glitzerndes, piependes Paradies im Übermaß.

Fish&Chips statt Burger. Vor einem Jahr öffnete die „magische Welt des Harry Potter“ als jüngste Attraktion vor den Toren Orlandos ihre Pforten. Zunächst hatte Joanne Rowling mit den Disney-Bossen über die Errichtung eines Themenparks verhandelt. Weil sie jedoch nicht die Kontrolle aus der Hand geben wollte, erhielt schließlich Universal den Zuschlag. 265 Millionen Dollar verschlang der Bau, der auf detailgetreue Kulissen Wert legt. Selbst das Pub „The Three Broomsticks“ verzichtet auf amerikanisches Junkfood: Statt Burger stehen Fish&Chips auf dem Menüzettel, statt Coca Cola kredenzt es Butterbier, ein Karamellgebräu. Die Bedienung trägt Zipfelmütze und Hosen im Schottenkaro, und über manche Zunge geht ein englischer oder schottischer Akzent.

Das Ambiente ist indessen nicht frei von Ironie. Auf den Dächern türmen sich Schneewechten, von den Rinnen hängen Eiszapfen – und das im subtropisch-schwülen, hochsommerlichen Klima im palmengesäumten Florida. Ohnedies hebt sich die Zauberwelt wohltuend von ihrer Umgebung ab, den „Islands of Adventures“. Schloss Hogwarts, das Internat der Zauberschüler Harry, Hermine und Ron, thront auf einem Felsen wie aus einem Bilderbuch – noch dazu, wenn sich in der Abenddämmerung eine echte Mondsichel darüber erhebt.

Nebenan wuchert der Dinosaurierdschungel von Steven Spielbergs „Jurassic Park“. Vor dem Eingang in das düstere, von Grautönen durchzogene Reich Harry Potters entfaltet sich im pastellfarbenen Kontrast ein bizarrer Stilmix von Pharaonenpalästen, Windmühlen, exotischen Inseln, Piratenburgen und aufgedonnerter Weihnachtsdekoration. Sindbad und Poseidon liefern sich quasi ein Duell um das lahme Publikumsinteresse. Dazu ertönt bombastische Filmmusik wie aus einem Kostümstreifen aus grauer Vorzeit.


Lange Wartezeiten. Die Wilsons rümpfen ein wenig die Nase über so viel Kitsch. Von Rowlings Paralleluniversum sind sie freilich uneingeschränkt begeistert. Sie kennen die Potter-Welt von A bis Z. Vater Steven ist schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage da, obwohl der Eintritt von 90 Dollar – ohne Parkplatzgebühr – das Urlaubsbudget strapaziert. Sie nehmen wegen des großen Andrangs auch lange Wartezeiten vor dem Süßwarenladen Honeydukes oder Ollivanders, der Bühne für Zauberkunststücke, in Kauf. Zwei bis drei Stunden in der Warteschlange bei schweißtreibenden Temperaturen sind in der Hochsaison die Regel.

Wie die Wilsons aus Schottland sind auch die Cooks aus Baton Rouge in Louisiana eingefleischte Harry-Potter-Fans. Vater Troy und seine elfjährige Tochter Jenny haben alle sieben Bücher und Filme mit bienenhafter Emsigkeit aufgesaugt. Troy Cook ist fasziniert von der Detailgenauigkeit des Themenparks und dem dramatischen Effekt der Vorlage. „Der Stoff hat alles: Gut und Böse, Triumph und Tragödie.“ An Perfektion, findet er, müsse Potters Zauberwelt den Vergleich zu Disney World nicht scheuen. Für viele hat sie den Klassikern aus dem Disney-Repertoire den Rang abgelaufen.

In amerikanischer Manier endet die Geisterbahnfahrt im Souvenirshop. Schwarze Umhänge und Schals stehen bei den Teenagern hoch im Kurs, das Butterbier kühlt die durstigen Kehlen. Manche wedeln mit dem Zauberstab, schwingen den Zauberbesen. Nur die Gluthitze vermögen die magischen Hilfsmittel trotz winterlicher Suggestion nicht wegzuzaubern. Über dem Eingangsportal weist eine Mahnung denn auch auf die Grenzen der Zauberkraft. Harry Potter gelang es indes, die Vergnügungsparks mit einem Schuss europäischer Originalität und schrägem Esprit zu verwandeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

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