Das Ende des amerikanischen Traums im All

Ende amerikanischen Traums
Ende amerikanischen Traums(c) EPA / NASA
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Das Aus für die Spaceshuttle-Flüge stürzt die einst ruhmreiche Weltraumbehörde der USA in eine Krise, die sich als jüngstes Indiz für den schleichenden Niedergang der Supermacht deuten lässt.

Oben auf der höchsten Etage der Aussichtsplattform hängt der Blick von Mark Miklasky versonnen an der nunmehr verlassenen Spaceshuttle-Abschussrampe in Cape Canaveral, Florida. Die eigenen Reminiszenzen haben den Geologen aus Spokane im Staat Washington im Nordwesten der USA überwältigt. „Ich weiß noch genau, wie mich mein Dad als kleiner Junge geweckt hat, um 1969 den Start der Apollo-Mondmission live im Fernsehen zu verfolgen. Ich würde es meinen Kindern wünschen, dass sie eines Tages die ersten Schritte von US-Astronauten auf dem Mars beobachten.“ Er hat indes seine Zweifel an dieser Vision.

Seit eine Kommission unter Präsident Barack Obama das von seinem Vorgänger George W. Bush initiierte „Constellation“-Programm, das den raschen Bau neuer Raumschiffe, die Rückkehr zum Mond bis 2020 und einen bemannten Marsflug bis 2037 vorgesehen hat, im Vorjahr als zu teuer und „rückwärtsgewandt“ weitgehend storniert hat, steckt das Prestigeprojekt der bemannten US-Raumfahrt, einstmals Aushängeschild der Nation und durch den Wettstreit des Kalten Kriegs befeuert, einigermaßen fest (siehe „Zukunft der Raumfahrt“). Viele inner- und außerhalb der Nasa fürchten, dass die aufstrebenden Mächte China und Indien gegenüber der stolzen und zugleich tief verunsicherten Supermacht auf der Überholspur sind. Sie wähnen die Führungsrolle als Avantgarde der Spitzentechnologie in Gefahr. Und dass die USA nun bei ihren bemannten Trips zur internationalen Weltraumstation ISS auf Jahre hinaus auf die Dienste des Exrivalen Russland und dessen Sojus-Kapseln angewiesen sind, versetzt vielen Nasa-Veteranen einen Stich.

Weltall wird teilprivatisiert. Dabei hat Obama nur das ausgeführt, worauf die republikanische Opposition stets pocht: Eine Privatisierung weiter Teile der Raumfahrt soll angesichts chronisch leerer Staatskassen den Anreiz schaffen, Geldmittel für neue Pilotprojekte in Kooperation mit der Nasa aufzutreiben. In seiner Rede zur Lage der Nation beschwor er die Amerikaner, sich ähnlich wie in der Ära John F. Kennedys zu einem „Apollo-Moment“ aufzuraffen, zu einem Akt nationaler Anstrengung. Mittelfristig erklärte er die Erkundung von Asteroiden und eine Mars-Mission zum Nasa-Ziel.

Lee Sterrick aber schäumt: „Ich bin richtig wütend.“ Der 69-Jährige, der die Hälfte seines Lebens für die Nasa gearbeitet hat, macht Obama dafür verantwortlich, dass das Land seine technologische Überlegenheit einzubüßen droht. Breitschultrig steht er im Space Museum in Titusville, in dem er kitschige Devotionalien, aber auch Liebhaberobjekte der US-Weltraumgeschichte zusammengetragen hat: die weißen Overalls der Apollo-Helden, das zerfetzte Schutzschild einer Mercury-Kapsel, eine Batterie ausgemusterter Kontrollinstrumente aus dem Kennedy Space Center in Cape Canaveral. Die Vitrinen sind voll mit kleinen und größeren Zeugnissen verwehter Glorie.

„Was jetzt?“, lautet die Frage, die sich nicht nur Sterrick stellt. Es ist eine Frage, die tiefe Ratlosigkeit verrät und auf die keiner so recht eine Antwort hat. Die Nasa plumpst in ein Vakuum. Nasa-Chef Charles Bolden versucht es mit Autosuggestion und markigen Parolen. „Wer glaubt, dass der Abschied vom Shuttle-Programm das Ende der bemannten Weltraumfahrt markiert, muss auf einem anderen Planeten leben. Wir werden auf mindestens 50 Jahre die Führerschaft behaupten.“

Das Raumprogramm, eng verbunden mit dem Pentagon, sei im nationalen Interesse. Er fabuliert von Exkursionen zum Asteroid Juno und zum Jupiter. „Obama hat der Nasa eine Herausforderung gestellt, und wir sind bereit, die Zukunft zu gewinnen.“

Ein kosmischer Durchhänger. Bolden ging als erster afroamerikanischer Astronaut in die Annalen ein, er hat als Shuttle-Pilot 1990 das Hubble-Teleskop im All verankert. Nun, da er als Verantwortlicher das Shuttle-Programm abwickelt, ringt er tränenerstickt um Fassung. Auch für Mark Kelly, Commander der vorletzten Shuttle-Mission im Mai, ist dies ein sentimentaler, bittersüßer und hochemotionaler Augenblick. Der 47-Jährige, als Ehemann der bei einem Attentat schwer verletzten Abgeordneten Gabby Giffords der Öffentlichkeit bekannt, gab seinen Abschied bekannt. Als inoffizieller Nasa-Sprecher wirbt er bei Auftritten im Gespann mit Bolden um Sympathie, doch sein Appell für die Raumfahrt findet zumindest in Zeiten einer rigorosen Spardebatte ein enden wollendes Gehör in der Politik.

In der Nasa vergleichen viele die Übergangsphase mit der Zeit nach dem Ende des Apollo-Programms Mitte der 1970er, da die Nation, angeschlagen von der Watergate-Affäre und dem Vietnam-Debakel, ihre Wunden leckte. Im blauen Overall hat sich US-Astronaut Doug Wheelock mit breiter Brust vor der malerischen Naturkulisse Cape Canaverals zum Interview aufgebaut. Das Shuttle habe sich überlebt, sagt er nüchtern. Es habe sein Pensum erfüllt. Tatsächlich waren die Flüge zu teuer geworden, der letzte wird (offiziell) mit 800Millionen Dollar beziffert. „Es kommen harte Zeiten auf uns zu“, glaubt Wheelock. Die Besten und Fähigsten, heißt es, würden der Weltraumbehörde den Rücken kehren. Innovationskraft gehe verloren. Die schärfste Kritik kommt aus den Reihen der Nasa selbst: Mike Griffin, Boldens Vorgänger, tat sich mit einer Attacke gegen die Politik hervor. Er muss sich jetzt auch keine Zügel mehr anlegen.

Es müsste sich schon längst eine Shuttle-Alternative im Entwicklungsstadium befinden, donnert indes der bald 90-jährige John Glenn. Wie der demokratische Senator Bill Nelson kennt Glenn beide Lager aus eigener Anschauung: 1962 pilotierte er eine Gemini-Rakete in den Orbit. 36 Jahre später kehrte er als 77-jähriges medizinisches Versuchskaninchen an Bord eines Shuttles zurück. Zwischendurch machte er als demokratischer Senator in Washington politische Karriere.

Im Space View Park in Titusville, vis-à-vis von Cape Canaveral, hat das verschlafene Städtchen ihm und seinen Kollegen ein Denkmal gesetzt. So wie Hollywood-Stars auf dem „Walk of Fame“ haben sich Glenn, Alan Shepard und Co. mit Handabdrücken verewigt. An der Space Coast Floridas genießen sie Heldenstatus.

Wie sehr das Raumprogramm das Selbstwertgefühl der USA trotz mancher Rückschläge definierte, offenbarte der Massenandrang beim Atlantis-Start am Freitag. Von nah und fern strömten die Fans zusammen, glücklich vereint zum letzten Salut. „Es war wie zu den besten Apollo-Zeiten“, erinnert sich Nasa-Veteran Roy Whitson. Damals feierten die USA ihre Pioniere mit Konfettiparaden. Neil Armstrong und Buzz Aldrin wurden als Stars herumgereicht.


Mord geht vor. Wie sich die Zeiten gewandelt haben, belegt nichts so sehr wie der Mordprozess gegen Casey Anthony, der spektakulärste seit dem Fall des Ex-Footballstars O. J. Simpson. Die 25-Jährige war angeklagt, ihre zweijährige Tochter mit einem Klebeband erstickt und im Teich versenkt zu haben. Der umstrittene Freispruch vor einem Gericht in Orlando, eine Autostunde von Cape Canaveral entfernt, schlug die Nation in Bann und stellte die Shuttle-Mission vor dem Start in den Schatten.

Das Ende des Shuttles fügt sich als jüngstes Indiz ins anschwellende Geraune über den schleichenden Niedergang, wenn nicht Verfall einer Supermacht. Das Land taumelt in eine Identitätskrise, finanziell ausgeblutet, politisch gelähmt und zermürbt von Kriegen. Nasa-Chef Bolden, ein unverbesserlicher Optimist, träumt indes von der Gabe, sich neu zu erfinden, und von neuen Pioniertaten, gemäß dem Motto der Vorväter: „Arbeite hart und träume von den großen Dingen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

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