Krieg in Libyen: Rebellen begehen Kriegsverbrechen

(c) REUTERS (AMMAR AWAD)
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Ein Bericht von "Human Rights Watch" wirft den Aufständischen in Libyen schwere Übergriffe gegen Zivilisten, Brandstiftungen und Plünderungen vor. Der Vorwurf wird durch Zeugenaussagen und Fotos untermauert.

Gaddafis Truppen kennen, wie man im Laufe des seit Februar tobenden Bürgerkriegs in Libyen sah, keine Gnade. Doch auch die Rebellen, die erst vor Tagen von den mehr als 20 Staaten der „Libyen-Kontaktgruppe“ (darunter den USA) offiziell als legitime Vertreter Libyens anerkannt wurden, sind keine Engel: Kürzlich sollen sie in vier Orten der Nafusa-Berge südlich von Tripolis schwer gewütet haben – diesen Vorwurf erhob am Wochenende die Menschenrechtsorganisation Human Right Watch (HRW).

Der Vorwurf wird untermauert durch Zeugenaussagen und Fotos, die angezündete Wohnhäuser, geplünderte Läden und verwüstete Spitäler zeigen. „Die Vorgesetzten der Rebellen haben die Pflicht, Zivilisten und ihr Eigentum zu schützen, insbesondere Hospitäler. Sie haben die Pflicht, jeden zur Verantwortung zu ziehen, der geplündert hat oder sich andere Übergriffe hat zuschulden kommen lassen“, heißt es in der HRW-Dokumentation.

„Werden vor Gericht gestellt“

Ein lokaler Offizier der Rebellen räumte die Untaten ein, erklärte aber, sie seien ein Verstoß gegen Befehle gewesen. Auch die Rebellenführung im ostlibyschen Bengasi bestritt, dass es eine systematische Politik der verbrannten Erde gegen Orte gebe, die loyal zu Gaddafi seien: „Wir sind gegen jegliche Menschenrechtsverletzungen“, sagte der Premierminister der provisorischen Regierung, Mahmoud Jibril. Alle Verantwortlichen würden vor Gericht gestellt.

Laut HRW gerieten die Bewohner der westlibyschen Städtchen al-Awaniya, Rayayinah, Zawiyat al-Bagul und Al-Qawalish im April und Mai zwischen die Fronten. Zuerst beschossen Einheiten Gaddafis Wohngebiete mit Raketen und legten Minenfelder gegen Fahrzeuge und Personen. Die Häuser vermuteter Anhänger der Rebellen wurden niedergebrannt und ihre Geschäfte ausgeraubt.

Prügel und Plünderungen

Als die Rebellen einrückten, drehten sie den Spieß um: Sie knöpften sich vor allem die Leute in al-Awaniya und Zawiyat al-Bagul vor, die zum Gaddafi-treuen Mesheshiya-Stamm zählen. Alle Häuser und Geschäfte an der Hauptstraße wurden geplündert und verwüstet. 14 Wohnhäuser brannten ab, Rebellen stahlen Geräte aus Spitälern, um sie zu ihrer Basis Zintan 160 km südwestlich von Tripolis zu transportieren. Bewohner berichteten, dass Nachbarn gefesselt und verprügelt worden seien.

Mitarbeiter von HRW hätten allerdings gefangene Gaddafi-Soldaten besuchen dürfen. Einige hätten gesagt, man habe sie bei der Festnahme geschlagen, sie würden aber jetzt korrekt behandelt.

Schwere Nato-Luftangriffe

Militärisch herrscht weiter relativer Stillstand. Am Boden wollen Rebellen die umkämpfte Stadt Brega an der Ostküste erobert und im Westen sich Tripolis von Süden genähert haben. In der Nacht auf Sonntag flog die Nato schwere Luftangriffe auf Tripolis, die Royal Air Force gab bekannt, sie werde vier weitere „Tornado“-Jagdbomber einsetzen und so ihre Luftflotte gegen Libyen auf 34 steigern. Insgesamt sind mehr als 200 Kampfflugzeuge und -helikopter von über einem Dutzend Staaten im Einsatz.

Libyens Diktator Muammar Gaddafi ritt wieder wüste rhetorische Attacken gegen die Interventionsmächte und nannte die Rebellen „Ratten“ und „Agenten des französischen Geheimdienstes“.

Hintergrund

Trotz der Luftangriffe einer Nato-geführten Koalition aus mehr als einem Dutzend Staaten gegen Gaddafis Militär, das dadurch seit März schwere Verluste erlitt (u. a. mehr als 220 Panzer), haben die Rebellen weiterhin keinen echten Durchbruch erzielt. Ihre Schwachpunkte sind schlecht organisiertes Vorgehen, wenige schwere Waffen und mangelnde Koordination mit den fremden Kampfflugzeugen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2011)

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