Bregenzer Festspiele: Liebe und Tod auf riesigem Leichnam

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Umberto Giordanos Revolutionsoper „André Chénier“ packt in Bregenz mit guter Besetzung. Die Symphoniker unter Ulf Schirmer halten stets die Spannung. Die Inszenierung von Keith Warners ist passend plakativ.

Mit größerer Berechtigung ragte wohl noch kein Bühnenbild aus den sanften Wellen des Bodensees: David Fielding hat Jacques-Louis Davids berühmtes Gemälde „La Mort de Marat“ von 1793 mittels Computertechnik in mehreren Schritten zu einer spektakulären und spektakulär wandelbaren, also ideal für Bregenz passenden Skulptur von 24 Meter Höhe umgewandelt, die vom Scheitel bis ins Wasser hinein bespielt wird. Der radikale Jakobinerführer Jean Paul Marat, soeben in seinem Badeschaffel erstochen von der, nun ja, „gemäßigten“ Girondistin Charlotte Corday, die dafür enthauptet wurde – er ist in Davids klassizistisch überhöhender, den Toten zum Märtyrer stilisierender Darstellung eine Ikone der Französischen Revolution.

Entsetzt von Jakobiner-Gräueln

Der historische André Chénier, selbst Revolutionär, aber entsetzt von den Gräueln der Jakobiner, hatte eine flammende Ode auf Charlotte Corday verfasst – der erste Schritt Richtung Schafott für den Dichter, dem Umberto Giordano mit seiner dramaturgisch wie musikalisch packenden Verismo-Oper 1896 ein musikalisches Denkmal gesetzt hat.
Seither haben alle großen Spinto-Tenöre von Caruso bis zur Gegenwart die Titelpartie im Repertoire, und Maddalenas Arie „La mamma morta“ wurde spätestens durch den Film „Philadelphia“ auch einem opernfernen Publikum ein Begriff. An einem Ort wie Bregenz gilt das keineswegs selten gegebene Stück seltsamerweise dennoch als Rarität, wie am Kartenverkauf merkbar sein soll – doch nur bis zur aktuellen Premiere, möchte man hoffen.
Denn der spontane Jubel, der nach dem letzten Ton ausbrach, als Chénier und Maddalena in einem ekstatischen Liebes- und Todesduett das Fallbeil als gemeinsames Schicksal annahmen, galt wohl nicht bloß der richtigen Entscheidung, auf dem See zu spielen (der Regen hatte erst kurz vor Beginn aufgehört), sondern dem außerordentlich glücklichen Zusammenwirken von zündender, von einem guten Ensemble getragener Musik und eindrucksvoller szenischer Umsetzung, die nur mit einigen wenigen Ideen übers Ziel hinausschoss und im Plakativen landete: ein verdienter großer Erfolg, an dem auch das reizvolle Licht- und Schattenspiel von Davy Cunningham großen Anteil hatte.
Genau genommen steht freilich nicht allein Giordano auf dem Programm: Der Brite David Blake hat eine Verbindungsmusik geliefert, die zwischen erstem und zweitem Akt dem Regisseur David Warner Gelegenheit gab, die eigentliche Revolution zu inszenieren: passend tumultuöse Klänge, die sich von Giordanos Tonsprache weit genug abhoben, ohne völlig zu dieser querzustehen – eine geglückte stilistische Gratwanderung. Der zweite Einschub, ein lyrisches Lied für Bersi, überzeugte weniger, der untadeligen Tania Kross zum Trotz, wohl auch wegen der öfter schrägen Intonation der sonst braven Chöre aus Prag und Bregenz. Die Wiener Symphoniker jedenfalls verliehen unter der straffen, stets die Spannung haltenden Leitung von Ulf Schirmer nicht nur den zupackenden, sondern auch den so wichtigen poetischen Stellen in Giordanos reicher Partitur den rechten Reiz.
Immerhin ist Chénier ein Dichter, wie er im Buche steht – und zwar wörtlich: Zwischen den Seiten eines aufgeklappten Folianten auf Marats Schulter taucht er auf und verlässt diesen sicheren Grund seines literarischen Schaffens während des Festes im ersten Akt nicht. Auch wenn später das Revolutionsgeschehen ganz selbstverständlich dorthin überschwappt, zeigt Warner den Künstler zunächst ganz als Beobachter (mit Fernrohr) und Chronist (mit Gänsekiel) jener Aristokratie, die sich auf einer großen Spielfläche knapp über dem Wasserspiegel (zu diesem Zeitpunkt eine riesige Einladungskarte zum Ball der Gräfin di Coigny) in pompösen, fast Life-Ball-tauglichen Outfits (Kostüme: Constance Hoffman) ihren parfümierten Lustbarkeiten widmet. Mit dem Ausbruch der Revolution rückt diese Ebene freilich weit nach rechts, wo sie von nun an als Schauplatz illustrierender Nebenhandlungen dient, bei welcher Repräsentanten des Ancien Régime von den lustvoll agierenden Horden erniedrigt, geschunden und exekutiert werden.

Terror auf engen Treppenfluchten

Das zwingt auch die Protagonisten, wenn Spitzel-Hinterlist, egoistische politische Winkelzüge und das Prinzip der Verleumdung in der „Grande Terreur“ überhandnehmen, immer mehr auf die verwinkelt engen Treppenfluchten, die von der Wange Marats über Hals und Brust nach unten führen. Auf ihnen reüssiert vor allem der mexikanische Tenor Héctor Sandoval: Für die Titelpartie bringt er nicht nur ein interessantes Timbre mit leicht dunklem Einschlag und eine stets tragfähige, sichere Höhe mit, sondern findet auch zumeist die unerlässlichen lyrisch-differenzierten Töne, ohne die der Charakter vokal nicht glaubwürdig wäre. Scott Hendricks setzt als Revolutionsheld Gérard einen für die Figur in passendem Ausmaß derberen, aber kaum minder profilierten Bariton entgegen, nur Norma Fantini hat als Maddalena trotz eindrucksvollen Aplombs immer wieder etwas Mühe, ihren üppig tremolierenden Sopran auf Linie zu bringen – bei ihr und der seit Längerem im Mezzosopranfach tätigen Achtzigerjahre-Diva Rosalind Plowright (Gräfin/Madelon) vielleicht ein durch die Soundanlage größer erscheinendes Manko. Selbst in Bregenz ist also nicht alles Größere auch besser.
Noch bis 21. August. Karten: www.bregenzerfestspiele.at.
Live auf ORF2: Fr., 21.20 Uhr.

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