Mitrovica und die Rock School

In Mitrovica ist es gefährlich, warnte unser Reiseführer. Halten Sie sich keinesfalls dort auf, es sei denn es ist aus beruflichen Gründen unumgänglich, heißt es da sinngemäß. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse rund um den Handelskonflikt zwischen Serbien und dem Kosovo, ist dieser Warnung eine gewisse Berechtigung leider nicht abzusprechen. Unser Besuch in Mitrovica fand jedoch kurz vor diesen Unruhen statt.

In Mitrovica ist es gefährlich, warnte unser Reiseführer. Halten Sie sich keinesfalls dort auf, es sei denn es ist aus beruflichen Gründen unumgänglich, heißt es da sinngemäß. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse rund um den Handelskonflikt zwischen Serbien und dem Kosovo, ist dieser Warnung eine gewisse Berechtigung leider nicht abzusprechen. Unser Besuch in Mitrovica fand jedoch kurz vor diesen Unruhen statt. Unumgänglich war der Besuch schon zu dieser Zeit nicht gerade, aber in Mitrovica wartete ein spannendes Projekt auf uns, das wir uns gerne genauer ansehen wollten - die Rock School Mitrovica. Sechs Stunden Busfahrt sind es von Belgrad nach Mitrovica. Die Busse sind voll, eng und verfügen nicht einmal über eine Andeutung von Air Condition. Diese Busse quer durchs Land sind auch heute noch die bequemste Art Post von einem Städtchen ins nächste zu bringen. „Wohin?", fragt der Busfahrer einen jungen Mann, der ihm ein Päckchen durch die offene Bustür reicht. „Mitrovica", sagt dieser und spuckt dabei seine Zigarette aus. Wie er machen es viele. Sie warten am Straßenrand auf den Bus und geben dem Fahrer Sendungen an Familienmitglieder in den Nachbarstädten mit. 

Die Stadt sah nicht so gefährlich aus, wie der Reiseführer das versprach. Im Gegenteil - sie machte einen ruhigen und friedlichen ersten Eindruck, wie sie da am Fluss lag. Nur die Stimmung, die über den teils verfallenen Häusern lag, deutete daraufhin, dass dort irgendetwas gewaltig schiefläuft.

Mitrovica ist materiell durch den Fluss geteilt, aber in den Köpfen der Bewohner noch durch so viel mehr. Die Stadt gehört zum neuen Staat Kosovo - zumindest wenn es nach der kosovarischen Regierung geht. Auf der nördlichen Flussseite besteht jedoch eine serbische Enklave, die sich zu Serbien zählt. Auf den Straßen hängen serbische Flaggen und Fotos von Novak Đoković in Siegerpose. Die Menschen hier sind sehr arm, das spürt man gleich. Die Stimmung ist gedrückt und deprimierend. Ein paar Roma verkaufen jedes Wochenende Kleidung auf einem Flohmarkt am Fluss. Einige können Englisch, einer sogar Deutsch. Wir blieben ein wenig zum Plaudern.

Roma Flohmarkt
Roma Flohmarkt(c) diePresse (Wieland Schneider)

Im Süden der Stadt beginnt der Kosovo. Hier stehen Moscheen und man kann mit dem Euro bezahlen, den der Kosovo als Währung führt. Auf den Straßen herrscht reges Treiben. Ein buntes Durcheinander aus Taxis, Pferdekutschen, Obstverkäufern und auffallend vielen jungen Leuten, sowie das kosovarische Anarcho-Parken quer über den Gehsteig, machen ein Durchkommen nicht gerade einfach.

Am Fuße der Brücke erwartete uns die Koordinatorin der Rock School Mitrovica, Wendy Hassler-Forest. Wendy ist Holländerin. In ihrem Büro hängen Fotos der jungen Bands aus Mitrovica und ein riesiges Dylan-Poster. Die Rock School ist ein Projekt der Organisation Musicians Without Borders, die in den Niederlanden beheimatet ist. Es ist eine Art Musikschule für junge Bands hier. In der Rock School werden sie 42 Wochen im Jahr von den besten Musikern der Gegend geschult. Sie lernen ihre Instrumente besser zu beherrschen, aber auch, wie man sich als Band präsentiert und worauf man sonst so achten muss, wenn man als Musiker bekannt werden möchte. Die Schule hat zwei Standorte, einen im nördlichen Teil der Stadt und einen im südlichen. Von einer Schule zur anderen sind es höchstens sieben Gehminuten. 

Wendy Hassler-Forest
Wendy Hassler-Forest(c) Teresa Reiter

Im Sommer gibt es zusätzlich jedes Jahr eine Woche Rock School in Skopje. Auf neutralem Boden spielen Kids aus beiden Teilen der Stadt gemeinsam in gemischten Bands. „Es gibt einige Projekte, bei denen versucht wird, Menschen aus beiden Teilen der Stadt zusammenzubringen. Meist wird dabei allerdings ein Ansatz verfolgt, der den Leuten ihre Unterschiedlichkeit bewusst macht. Wir hingegen versuchen, die Kids auf der Basis ihrer größten Gemeinsamkeit zusammenzubringen. Sie machen gerne Musik", erklärte Wendy Hassler-Forest. Das Projekt verlief bisher immer weitgehend konfliktfrei. „Nur einmal hatten wir ein kleines Problem mit einer gemischten Band, die eine Myspace-Seite anlegen wollte. Myspace fragt nämlich, aus welchem Land deine Band kommt." Der Streit sei jedoch schnell geschlichtet gewesen, und Myspace sei von da an aus dem Programm ausgeschlossen worden. 
Für eine geringe Gebühr können die Kids an der Rock School teilnehmen. "Wer es sich nicht leisten kann, dem bieten wir an, im Rahmen der Rock School das Geld dafür zu verdienen. Sie bloggen dann für die Schule oder machen kleine Arbeiten. So kann jeder dabei sein, der möchte", antwortete Wendy auf meine Frage nach dem Finanziellen.

Nach der Woche Skopje freunden sich viele der Kinder auf Facebook an, aber sehen sie sich danach auch ab und zu? „Nein", sagt Filip, ein etwa 18-jähriger Drummer aus dem Norden Mitrovicas. „Ich gehe nie hinüber auf die andere Seite. Nur einmal habe ich zufällig jemanden aus der Rock School getroffen, als ich mit meiner Mutter drüben zum Einkaufen war. Manche Dinge sind dort einfach billiger. Ansonsten sehe ich niemanden aus dem Süden wieder. Aber wir schreiben auf Facebook." „Das Projekt hilft trotzdem", sagt Wendy Hassler-Forest. "Es zeigt ihnen, dass sie die gleichen Bands mögen und eigentlich gar nicht so verschieden sind. Es ist noch ein langer Weg, bis sich die Dinge hier normalisieren werden. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben."

Besonders aufgefallen ist uns eine sehr junge Band aus dem Süden Mitrovicas. Freak Week Sänger Visar erzählt uns in fließendem Deutsch, wie sie auf den Namen gekommen sind. „Eigentlich waren wir am Anfang sieben. Weil wir alle irgendwie Freaks sind und Naturwissenschaften oder Mathematik studieren, kamen wir auf den Namen Freak Week. Eine Woche hat ja auch sieben Tage." Sie spielten uns ein Aloe Blacc-Cover vor und wir kommen aus dem Staunen nicht heraus. Freak Week sind wirklich gut. „Wir waren einmal bei Albania‘s Got Talent. Ja, das gibt es auch hier", lachte Visar bevor sie uns noch einen eigenen Song vorspielten. Visar selbst hat ihn geschrieben. Leider haben sie noch keine Homepage, aber sie versprachen uns, bald eine Facebook-Seite für Freak Week anzulegen.

Freak Week
Freak Week(c) Teresa Reiter

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.