Sehnsucht der Städter nach dem Ufer

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ht(c) Clemens Fabry
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Warum in ehemaligen Hafengebieten weltweit „Waterfronts“, attraktive Stadtviertel am Wasser, entstehen. Und warum ausgerechnet die heimische „Donaumetropole“ damit Probleme hat.

Wien. Wer sich Wien vom Fluss her nähert, bekommt keinen besonders guten Eindruck von der Stadt: Er sieht zunächst einmal – Straßen. Am linken Ufer zieht sich die Donauuferautobahn, am rechten, hinter einer Eisenbahntrasse, der Handelskai praktisch über die ganze Länge des Stadtgebiets – künstliche Barrieren, die den Lebensraum vom Fluss trennen.

Der weltweite Trend zur „Waterfront“, also zu Stadtvierteln, die durch perfekte Anbindung ans Wasser höchste Attraktivität gewinnen, ist in Wien noch kaum zu spüren – und dort, wo es ihn gibt, auf der Donauplatte zwischen Fluss und Uno-City, findet sich der Besucher abends in einem ausgestorbenen Retortenviertel wieder.

Dabei „würden wir alle gerne am Wasser wohnen“, sagt Thomas Hotko von der Markenagentur brainds, die das thematische Konzept der „Seestadt Aspern“ mitentwickelt hat. Das hätte die Marktforschung erwiesen. Dieser Trend sei an Wien aber lange vorbeigegangen, erst in den vergangenen Jahren habe die Stadt begonnen, Akzente in diese Richtung zu setzen.

Nicht mit London vergleichbar

Wien und die Donau – das ist nicht nur eine Liebesgeschichte. Denn im Gegensatz zu anderen Städten – man denke an die Seine in Paris oder die Londoner Themse, die unmittelbar durch die Stadtzentren fließen – liegt das Herz der „Donaumetropole“ seit der Regulierung des Flusses im 19.Jahrhundert weit entfernt vom Ufer. Natürlich, es gebe den Donaukanal, der in den vergangenen Jahren eine stete Aufwertung erfahren habe – aber der sei eben keine „Waterfront“ im eigentlichen Sinn, sagt Robert Schediwy.

Der Sozialwissenschaftler und Kulturpublizist hat sich für sein Buch „Städtebilder“ auch mit dem Phänomen der Waterfront auseinandergesetzt, die Metropolen auf der ganzen Welt neue Impulse geben würde: „Neue Wohnungen an großen Wasserflächen, ob das jetzt am Meer ist oder am Flussufer, sind attraktiv und teuer“ – und zögen dementsprechend gut ausgebildete und verdienende Bewohner an.

Ein Schlüsselelement bei diesen „Hafenvierteln“ von „Fisherman's Wharf“ in San Francisco über die Londoner „Docklands“ bis zur „Hafencity“ in Hamburg (siehe unten) sei aber, dass sie neu wären – entstanden etwa auf ehemaligen Hafenflächen nahe des Stadtzentrums, die durch die Entwicklung vollautomatischer Containerterminals seit Ende der 1960er-Jahre stark verkleinert oder von der Stadt weg verlegt wurden.

In den riesigen, neuerdings eben leeren Arealen seien dann durch Zusammenarbeit der jeweiligen Städte und privater Investoren neue Viertel entstanden, die sich bei Einheimischen und Touristen größter Beliebtheit erfreuen. Das treffe auf den Donaukanal nicht zu, der historisch schon mit der Stadt mitgewachsen sei.

Wien sei ein schwieriger Boden für eine Waterfront, sagt Schediwy – dadurch, dass die Häfen Freudenau und Albern so weit außerhalb der Stadt liegen würden, dass das Stadtzentrum abseits der Donau liege und die Ufer mit Straßen vom Fluss abgegrenzt seien, hätte die Stadt wenig Gelegenheit dazu, ein solches neues Viertel zu initiieren.

Donauplatte „nicht gelungen“

Das Projekt Donauplatte sei „eher kein gelungenes Beispiel“, findet Schediwy – zwar habe man durch die unterirdische Führung der Autobahn für besseren Zugang zum Ufer gesorgt, aber „die Stadt und die privaten Investoren haben dort nicht an einem Strang gezogen“ – das sei aber unbedingt notwendig, wenn ein neues Stadtviertel erfolgreich gedeihen und Leben anziehen sollte.

Auch wenn im Rathaus die Stadtplanung für das rechte Donauufer unter dem Titel „Zielgebiet Waterfront“ läuft – ein großer Wurf fehlt, ein ganz neues Viertel direkt an der Donau will die Stadt in absehbarer Zeit nicht errichten. Dem widerspricht Klaus Vatter, Leiter der zuständigen Magistratsabteilung21A – immerhin hätten doch mehrere donaunahe Wohnbauprojekte in den kommenden Jahren einen Umfang, der der Größe von Kleinstädten entspräche.

Als Beispiele nennt er etwa das neue Bürogebäude, das nahe der neuen U2-Station Donaumarina gebaut werde – in einer Region, die mit dem U-Bahn-Anschluss generell einen Aufschwung erfahre. Eine andere große Chance weiter donauaufwärts sei die Adaptierung der Erzherzog-Wilhelm- und der Erzherzog-Albrecht-Kaserne in der Vorgartenstraße: Beide würden zu Wohngebäuden umgebaut, in fußläufiger Distanz zu den Grünzonen am Donauufer. Und nicht zuletzt falle auch die Erschließung des ehemaligen Nordbahnhofareals in das „Waterfront“-Konzept der Stadt, sagt Vatter – immerhin ein Riesenprojekt mit rund 2000 Wohnungen. „Außerdem soll die Stadt durch Brückenschläge über den Handelskai besser mit dem Donauufer verbunden werden“, so der Beamte.

Eine lebendige „Waterfront“ wie in London wird dadurch in Wien wohl aber nicht entstehen – zu verstreut sind die einzelnen Projekte, als dass das Stadtleben dadurch an die Donau rücken könnte. Aber: Auch die Schiffsanlegestelle an der Reichsbrücke soll erneuert werden – damit Besucher, die Wien vom Wasser erreichen, ein besseres Bild der Stadt bekommen. Immerhin.

Die Serie

„Wien am Wasser“: Unter diesem Titel nimmt „Die Presse“ in den kommenden Wochen jene Orte unter die Lupe, an denen Wien sich mit dem Wasser arrangiert, an denen es mit ihm kämpft oder wo es sich mit diesem Element sogar neu erfindet. Eine Reise von den Klassenzimmern des Schulschiffes durch die Lokale des Donaukanals bis in die Baugruben von Aspern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2011)

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