Die Biedermänner helfen schon wieder den Brandstiftern

Die „Seht ihr, was ihr angerichtet habt“-Predigten gegen die Rechtspopulisten sind heuchlerisch. Und sie sind mit einiger Wahrscheinlichkeit politisch kontraproduktiv.

Nach dem Attentat von Oslo und Utøya sind die europäischen Rechtsparteien unter Druck geraten. Sie werden sowohl von ihren politischen Gegnern als auch von den politisch nicht organisierten Wohlgesinnten mehr oder weniger deutlich als Mittäter im Wege der Anstiftung angeklagt. „Brandstifter“ sagen die Biedermänner der politischen Korrektheit, „Anstifter“ würde die Absicht zu deutlich zu erkennen geben. Denn mit der Anklage wird die wortreiche Beteuerung mitgeliefert, dass man damit natürlich nicht sagen wolle, den Rechtspopulisten, Islamkritikern oder wie auch immer man die bedauernswerten Geschöpfe nennt, die von den Segnungen des fraktalen Transkulturalismus nicht ausreichend begeistert sind, sei eine direkte Schuld am Tod von 76 Menschen zuzuschreiben.

Die ungelenken Distanzierungsbemühungen der solcherart unter Druck Geratenen werden als erster, schlagender Beweis für die Richtigkeit der Anschuldigung zu den Akten des Moraltribunals genommen. Wo nicht rechtsstaatliche Prinzipien das Verfahren beherrschen, sondern die viel strengeren Regeln des Moralismus, dort regiert die Beweislastumkehr: Nicht der Ankläger muss einen empirischen Beleg für seine Anschuldigung liefern, sondern der Angeklagte muss seine Unschuld beweisen. „Man weiß doch, dass Worte töten können“, heißt es dann – was soll man dagegen sagen?

Straches FPÖ und die anderen populistischen Bewegungen Europas müssen einem dafür nicht leid tun. Erstens machen sie es genau so, und zweitens kann es sein, dass ihnen die aktuelle Ihr-seid-schuld-an-Oslo-Debatte am Ende nicht nur nicht schadet, sondern sogar hilft. Denn sie beziehen ihre Energie, wie fast alle zum Extremismus neigenden Organisationen – der Islamismus zum Beispiel – aus der effizienten Bewirtschaftung eines Opfermythos. Was ihre Anhänger eint, ist nicht eine gemeinsame Vorstellung von der Welt, sondern das unbestimmte, aber intensive Gefühl, verfolgt zu werden.

Ein iranischer Mullah und ein ägyptischer Student in Hamburg, der zum Mitglied einer Terrorzelle geworden ist, haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von dem, was Islam bedeutet – aber beide sind davon überzeugt, dass ihr Jihad, ihre Bemühung, ein guter Muslim zu sein, sich darin äußert, sich und die Ihren mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vom Joch des westlichen Kulturimperialismus zu befreien. Ein Wiener Steuerberater und ein steirischer Bergarbeiter haben ziemlich unterschiedliche Vorstellung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft – aber beide verstehen ihre Stimme für die FPÖ als Widerstand gegen die „Political Correctness“, die ihr Unbehagen über die Welt, wie sie durch die rasanten Beschleunigungseffekte der Globalisierung geworden ist, pathologisieren. Oder, wie im gegenständlichen Fall kriminalisieren.

Die Distanzierungsbemühungen der europäischen Rechtsparteien gelten ihren Gegnern als Schuldeingeständnis. Die Beteuerung der linken Moralapostel, dass man den Rechtspopulisten und ihren Anhängern keine „direkte“ Schuld an der Tat des Anders Behring Breivik geben wolle, gilt diesen als Beweis dafür, dass man ihnen schon wieder den Mund verbieten will. Aus dieser Endlosschleife, die sich als Debatte ausgibt, wird man nicht leicht herausfinden. Schon gar nicht mit so schafsköpfigen PR-Schmonzetten wie einem „Pakt gegen die Hetze“, den die österreichischen Regierungsspitzen als ihren spezifischen Beitrag zur Abrüstung der Worte verkaufen wollen. Darauf muss man auch erst einmal kommen: den politischen Mitbewerber zur Mäßigung zu bewegen, indem man ihn als Hetzer denunziert.

Die handelsüblichen „Seht ihr nun, was ihr angerichtet habt“-Predigten, sind über weite Strecken heuchlerisch. Sie werden von Politikern gehalten, die mit ihrer blauäugigen Politik die Probleme geschaffen haben, deren Ausbeutung die Geschäftsgrundlage der Populisten ist. Dass sie jetzt politischen Profit daraus schlagen wollen, dass ein Verrückter sich des Vokabulars der Empörten bedient, ist moralisch fragwürdig. Vor allem aber ist es politisch dumm. Man kann nicht Menschen, die man verloren hat, weil sie das Gefühl haben, Opfer zu sein, dadurch zurückgewinnen, dass man dieses Gefühl durch Schuldzuweisungen verstärkt.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2011)

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