KGB-Affäre: "Die Angst vor dem Russen"

(c) EPA (Sergei Chirikov)
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Der Fall Golowatow zeigt deutlich, dass man sich in Österreich mit Moskau nicht anlegen will. Doch Russland wird überschätzt. Das Stereotyp des "Russen" wurde schon im Mittelalter geprägt.

Es war einige Zeit vor der Causa Golowatow. In entspannter Runde mit österreichischen Unternehmern kam plötzlich das Gespräch auf den vormaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko, der 2004 als damaliger Präsidentschaftskandidat – möglicherweise vom Geheimdienst – mit Dioxin vergiftet und von Ärzten in Wien gerettet worden war. Der Fall ist bis heute nicht geklärt, aber eines sei sicher, platzte ein Vertreter eines namhaften österreichischen Konzerns in die Runde: „Der russische Geheimdienst kann nicht involviert gewesen sein. Denn wenn die Russen Hand anlegen, steht Juschtschenko nicht mehr auf.“

Der Russe als harter Hund. So will es das Image. Unerbittlich, grob, gefährlich. Besser ihn nicht zu vergraulen. Wer weiß, wie das endet, zumal wenn er auf Rache sinnt. Dieses Bild vom Russen scheint sich zu tradieren. Und die übereilige Freilassung des von Litauen als Kriegsverbrecher gesuchten Ex-KGB-Offiziers Michail Golowatow erinnert einmal mehr daran.

„Vorauseilender Gehorsam“. Ob der russische Botschafter Sergej Netschajew seinen Landsmann tatsächlich „mit politischen und wirtschaftlichen Drohungen“ freigepresst hat, wie Grünen-Sicherheitssprecher Peter Pilz behauptet, oder nur mit massiver Intervention, wie Golowatow bestätigt. Entscheidend ist, dass Österreichs Behörden Litauern eine unnötig kurze Frist gesetzt haben, um den Haftbefehl zu präzisieren. Und dass Netschajew das Justiz- und Außenministerium zu hektischen Krisensitzungen und dazu bewegen vermochte, die Überstellung Golowatows in die Justizanstalt Korneuburg zu verhindern.

Warum ist Österreich eingeknickt? „Es gibt eine gewisse Praxis – nicht nur in Österreich –, sich nicht mit dem mächtigen Russland anzulegen“, meinte Völkerrechtsexperte Manfred Nowak. „Der vorauseilende Gehorsam ist wieder sichtbar geworden“, erklärt Hans-Georg Heinrich, Chef des Wiener ICEUR-Thinktank und einer der intimsten Russland-Kenner. Im konkreten Fall entspringe er der in der Diplomatie zunehmend üblichen Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen. Aber die Angst beruhe auf mangelndem Wissen über die Russen, sagt Heinrich: „Österreichs Behörden waren wohl überfordert. Woher soll die Justizministerin wissen, wie die Russen im Ernstfall reagieren?“

Der Angsttest. Im Ernstfall baue der Russe eine Drohkulisse auf, lege verbal ein südländisches überschwängliches Temperament an den Tag und taste so das Angstpotenzial seines Gegenübers ab, berichten erfahrene Geschäftsleute in Russland: Bleibt das Gegenüber unerschrocken, würden sie pragmatisch, wie sie es grundsätzlich seien, meint Heinrich. Beobachter erklären damit auch, dass die Russen zwar die Amerikaner nicht mögen, aber doch Respekt vor ihnen haben. Die Europäer hingegen würden vor allem gemocht.

So haben es die USA dieser Tage gewagt, einige hochrangige russische Beamte auf eine Einreiseverbotsliste zu setzen, weil diese den russischen Anwalt eines Investors im Gefängnis haben verrecken lassen. In Deutschland hingegen hat die Wirtschaft lobbyiert, den renommierten Quadriga-Preis an Premier Wladimir Putin zu vergeben. Auf öffentlichen Druck wurde zurückgerudert. Von wirtschaftlichen Nachteilen ist dennoch weit und breit nichts zu sehen. Dass sie Österreich gedroht hätten, klingt genauso nach Mythos, wie die fälschliche Einschätzung in Europa, Europa hänge mehr vom russischen Gasimport ab als Russland vom Export nach Europa. Russland ist zwar Österreichs elftwichtigster Exportmarkt, eine Reihe zentraleuropäischer Kleinstaaten aber sind ähnlich bedeutsam oder gar wichtiger.

Der vorauseilende Gehorsam gegenüber den Russen hat freilich noch einen anderen Grund, erklärt Wolfgang Eismann, Ex-Vorstand der Slawistik der Uni Graz: „Die anhaltende Tradition des Staatsvertrages führte ähnlich wie in Finnland zum Kuschen. Auch im antikommunistischen Kampf während des Kalten Krieges hielt Österreich sich an ein ,Stillhalteabkommen‘.“ Eismann hat ausgiebig zum Stereotyp geforscht: In der sogenannten „Völkertafel“ im 18.Jahrhundert wird der Russe als „wild“ und „barbarisch“ vorgeführt. Grundlegend für die Charakterisierung aber war der Bericht des ersten österreichischen Gesandten Siegmund von Herberstein im 16.Jahrhundert. Als „boßhafft“ wird der Russe dort bezeichnet, verräterisch und listig, aber auch fromm. Diese Klischees „prägten das Bild vom Russen – mit Nachwirkungen bis in die heutige Zeit“, schreibt Eismann. Für Österreich wichtig: Schon in der mittelalterlichen Literatur behält der Russe (Riuze) in den Zweikämpfen immer die Oberhand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2011)

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