USA: Eine gespaltene Nation unter Paralyse

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Der Schuldenstreit hat die Selbstblockade des politischen Systems bloßgelegt. Extreme Kräfte wie die Tea-Party-Bewegung treiben die Parteien vor sich her, der Kompromiss wird zum Hasardspiel.

Washington. Mitch McConnell hob strahlend den Daumen, und Harry Reid tat es ihm weniger strahlend gleich. Die gemeinhin eher grimmigen Senatsführer der Republikaner und der Demokraten waren als Drahtzieher des Deals zufrieden mit sich und ihrer Welt. Auf beiden Seiten des politischen Spektrums machten sich indessen Erschlaffung und Ernüchterung breit über einen Kompromiss im US-Schuldenpoker, der alles andere als perfekt ist, wie alle Beteiligten erschöpft betonen.

Nicht Jubel, sondern illusionsloser Pragmatismus, verbunden mit einem Stoßseufzer der Erleichterung, kennzeichnet den Ton in Washington nach der Einigung. Präsident Barack Obama vermochte bei aller Genugtuung seine Enttäuschung nicht zu verbergen. Seine Forderung nach einer Steuererhöhung für die wohlhabenden Amerikaner mutete freilich an wie ein pflichtmäßiges „Ceterum censeo“, wie eine Beteuerung an die Adresse seiner zutiefst frustrierten linksliberalen Klientel.

„Triumph der Tea Party“

Das „Wall Street Journal“ kommentiert wohlwollend den „Triumph der Tea Party“, wenngleich der Gründer der „Tea Party Nation“ in verquerer Weltsicht den Liberalen einen „totalen Sieg“ zuschreibt. In der „New York Times“ zieht dagegen der Kolumnist und Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman feuerspeiend gegen die Kapitulation Barack Obamas und das „Desaster“ für die US-Wirtschaft zu Felde. Die Sparmaßnahmen träfen eine schwächelnde Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit würde sich weiter verschlimmern, lautet das professorale Fazit des Princeton-Ökonomen.

Die Reaktionen dokumentieren die Polarisierung einer Nation, die wochenlang in vollem Bewusstsein auf ein finanzpolitisches Fiasko zusteuerte und der Welt die Paralyse ihres politischen Systems vor Augen führte. Im ursprünglich auf Balance ausgerichteten Kräfteparallelogramm der US-Verfassung setzten sich Exekutive und Legislative zeitweise schachmatt – mit dem Risiko, eine weltweite Finanzkrise heraufzubeschwören. Am Ende behauptete sich das Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem politischen Hasardspiel.

Das Polit-Drama hielt am Montag indes noch einen Epilog bereit. Senat und Repräsentantenhaus sollten in Abstimmungen dem Deal ihre Zustimmung erteilen. Während im Senat unter den gesetzteren Damen und Herren das Murren lediglich ein Hintergrundgeräusch blieb, stieg der Erregunspegel unter manchen Heißspornen im Repräsentantenhaus.

Revolte im Repräsentantenhaus

Im Lager der Demokraten machte sich Fraktionschefin Nancy Pelosi auf eine kleine Revolte gefasst. „Wäre ich ein Konservativer, würde ich jetzt eine Party feiern“, sagte ein einflussreicher afroamerikanischer Abgeordneter. Und ein hispanischer Kollege aus Arizona sah durch die Einschnitte in die Sozialprogramme gleich die Lebensgrundlage für seine Wähler bedroht. Raul Grijalva wetterte gegen die „Radikalen am rechten Flügel der Republikaner“.

Gemeint war damit die Tea Party, die der Steuerdebatte ihren Stempel aufgedrückt hatte. Die Tea-Party-Fraktion trieb den republikanischen Oppositionsführer John Boehner mit ihren Ultimativforderungen vor sich her, sodass sogar schon von einer „Geiselhaft“ die Rede war. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne die üblichen politischen Tauschgeschäfte – und angeblich auch ohne einen Hintergedanken an eine Wiederwahl – waren die Neo-Abgeordneten im Jänner angetreten, das politische System in Washington zu verändern. Sie schworen im Wahlkampf, den Staat zurechtzustutzen, die Ausgaben drastisch zu beschneiden – bis hin zur Einsparung von Ministerien und Regulierungsbehörden.

Senator Rand Paul wollte sogar den Pentagon-Etat massiv kürzen. Da rührte er allerdings an ein Tabu in den republikanischen Reihen. Im Gegensatz zu den Demokraten sah sich die Grand Old Party stets als Fürsprecher eines starken Militärs. Dass auch die immensen Verteidigungsausgaben zur Disposition stehen, brachte viele gemäßigte Republikaner auf die Barrikaden. John Boehner muss die widerstrebenden Lager seiner Fraktion bei der Stange halten – der derzeit härteste Job in Washington.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2011)

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