Die Ohnmacht des Westens in Syrien

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Wegen der Nähe zu Israel, dem Libanon und Irak ist Syrien ein strategisches Minenfeld, in das sich niemand vorwagen will. Am Montag drangen syrische Einheiten mit Panzern in die Stadt Albu Kamal ein.

Der Aufstand in Syrien wird mit jedem Tag blutiger. Am Montag drangen syrische Einheiten mit Panzern in die Stadt Albu Kamal ein. Erst am Wochenende waren beim Sturm auf die Widerstandshochburg Hama nach Angaben der Opposition fast 100 Menschen ums Leben gekommen. Die EU will deshalb die Sanktionen gegen das syrische Regime von Bashir al-Assad verschärfen, und eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats wurde einberufen. Eine internationale Militärintervention schlossen Großbritanniens Außenminister William Hague und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen aber aus.

Warum greift die internationale Gemeinschaft nicht ein, wie sie das in Libyen getan hat? Die Antwort liegt in der besonderen regionalen Position Syriens. Libyen ist international nur aus zwei Gesichtspunkten interessant: Es hat große Erdölvorkommen und ist wichtig, als Ausgangspunkt für afrikanische Migration nach Europa.

Syrien dagegen ist ein strategisches Minenfeld. Da sind einmal die Nachbarschaft zu Israel und die seit 1967 israelisch besetzten Golanhöhen. An der Grenze zwischen beiden Ländern ist seit 40 Jahren trotz aller syrischen und israelischen Rhetorik kein Schuss gefallen. De facto fungiert Syriens Regime als ein Garant für Stabilität dieser Grenze zu Israel. Als die Regime in Damaskus zu Beginn des Aufstandes hunderte unbewaffnete Menschen ungehindert über die Demarkationslinie auf die Golanhöhen durchließ und israelische Soldaten auf sie feuerten, war das weniger ein internes Ablenkungsmanöver als vielmehr ein Warnsignal an Israel und vor allem an die USA und die Europäer. Nach dem Motto: „Wir können auch anders.“ Rami Makhlouf, Cousin Assads und zweitmächtigster Mann Syriens, formulierte das im Interview mit der „New York Times“ ganz offen: „Wenn es keine Stabilität in Syrien gibt, wird es keine für Israel geben.“

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Iran als mächtiger Verbündeter

Die zweite Trumpfkarte des syrischen Regimes ist seine Achse mit dem Iran. Völlig unklar ist, wie sich Teheran bei einer internationalen Intervention in Syrien verhalten würde. Anders als Libyens Machthaber, Muammar al-Gaddafi, dem niemand von außen offen zu Hilfe eilte, hätte Assad mit Teheran einen gewichtigen Verbündeten.

Damit verbunden ist der Einfluss Syriens im Nachbarland Libanon. Wenn Damaskus will, kann es dort mit Hilfe der von ihr gesponserten schiitischen Hisbollah einen politischen Brand legen, der sich nur schwer löschen ließe. Die Hisbollah fühlt sich derzeit ohnehin in die Ecke gedrängt, nachdem das UN-Tribunal zum Mord am libanesischen Expremier Rafik Hariri vor wenigen Tagen vier Mitglieder der Hisbollah offiziell angeklagt hat. Es wäre ein Einfaches für Damaskus, den instabilen Libanon an den Rand eines erneuten Bürgerkriegs zu drängen.

Und dann ist da auf der anderen Seite noch die lange syrische Grenze zum Irak. Seit dem Einmarsch der US-Truppen im Irak 2003 hatte das Regime in Damaskus immer wieder zugelassen, dass sunnitische Kämpfer ins Zweistromland einsickern, um die Guerilla gegen die US-Besatzung zu unterstützen. Das Regime Assad wollte damit verhindern, dass das US-Experiment des Regimewandels in Bagdad Schule macht und es möglicherweise selbst als nächstes auf der Liste steht. Mit Erfolg. Aber gerade jetzt möchte US-Präsident Barack Obama seine Truppen bis Ende des Jahres aus dem Irak abziehen. Ein Aufflammen des irakischen Aufstandes käme ihm da sehr ungelegen.

Alle diese strategischen Fäden, die in Damaskus zusammenlaufen, erklären das internationale Zögern gegenüber Syrien. Die Syrer selbst rufen nicht nach ausländischer Intervention. Zu sehr haben sie das Beispiel Irak abgeschreckt und das Chaos, das die USA dort hinterlassen haben. „Wir wollen keine ausländische Militärintervention, weil wir im Irak gesehen haben, wie das zu einem Bürgerkrieg führt“, sagt der prominente syrische Menschenrechtler Ammar Al-Kurabi. Aber er fordert von der internationalen Gemeinschaft und der Arabischen Liga, dass sie dem „mörderischen und kriminellen“ syrischen Regime die Legitimität absprechen und es isolieren.

„Euer Schweigen tötet uns“

Auch unter den Demonstranten in Syrien hat sich der Ton in dieser Frage in den vergangenen Tagen spürbar geändert. „Euer Schweigen tötet uns“, lautete das Motto bei ihren Protesten am Freitag. Das war, bevor die syrische Armee nach Hama einmarschiert ist. Gerichtet war ihr Protest gegen das Schweigen zunächst vor allem der benachbarten arabischen Länder.

Der Ruf kommt an. Ägyptische Blogger fordern den neuen ägyptischen Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil El-Arabi, auf, endlich sein Schweigen in Sachen Syrien zu brechen und Position zu beziehen. Und ausgerechnet die saudische Zeitung „Al-Watan“, ein Blatt jenseits jeglicher Nähe zu revolutionären arabischen Bewegungen, schreibt: „Die Araber müssen in Bezug auf die Angriffe gegen das syrische Volk eine Antwort finden, ähnlich wie die, die sie gegenüber dem Regime Gaddafi in Libyen gefunden haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 2. August 2011)

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