Wie die konservative Graswurzelbewegung entstand und wer sie stützt. Bei den Midterm Elections, den Zwischenwahlen im vorigen November, etablierte sich die Tea Party als politische Kraft.
Washington. Joe Biden ist dafür bekannt, dass er sich kein Blatt vor den Mund nimmt. In einer internen Sitzung wetterte der Vizepräsident gegen die „Terroristen“ der Tea Party. Da fügte es sich, dass der „New York Times“-Kolumnist Joe Nocera anderntags polemisch vom „Dschihad“ schrieb, den die Steuerrebellen anzettelten. Und auch das den Republikanern nah stehende Finanzblatt „Wall Street Journal“ mahnte in einem Kommentar die radikale Minderheit zum Einhalt. Präsident Barack Obama fragte verzweifelt: „Können sie zu irgendetwas Ja sagen?“
Doch die Tea-Party-Abgeordneten lassen sich nichts vorschreiben. Die Präsidentschaftskandidatin Michele Bachmann gelobte feierlich, als wäre es ihre patriotische Pflicht: „Irgendjemand muss dagegen stimmen. Ich tue es.“ Ihre Devise im Schuldenstreit lautete: „My way or the highway“ – alles oder nichts. Die Tea-Party-Fraktion blockierte lange jeden Kompromiss und trieb nicht nur den republikanischen Oppositionsführer John Boehner zur Verzweiflung, sondern das gesamte politische Establishment in Washington.
Die radikal-konservative Graswurzelbewegung, deren intellektuelle Führer sich auf den Ökonomen und Exil-Österreicher Friedrich von Hayek und sein Werk „Der Weg in die Knechtschaft“ berufen, leitet sich vom historischen Vorbild der „Boston Tea Party“ von 1773 ab, dem Fanal der amerikanischen Revolution. Die Geburtsstunde der modernen Wiedergänger schlug im Februar 2009, als der TV-Börsenkommentator Rick Santelli in einer Brandrede vor Live-Kameras mit der Idee spielte, zu einer Tea-Party-Versammlung in Chicago aufzurufen.
Schützenhilfe von Fox News
Viele nahmen dies für bare Münze, im Internet formierten sich spontan Gruppen, überall schossen Tea-Party-Gruppierungen aus dem Boden, oft gegründet von Hausfrauen wie Amy Kramer in Atlanta, deren „Tea Party Express“ inzwischen zu einer treibenden Kraft der Bewegung geworden ist. Die Bankennothilfe hatte im Herbst 2008 den Unmut vieler Amerikaner entfacht, das Konjunkturprogramm sowie der Rettungsplan für die US-Autoindustrie haben das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht. Überall in den USA regte sich der Protest gegen Steuerverschwendung und gegen Bürokratie. „Weniger Staat“, hieß die Parole, die erstmals am 15. April 2009, dem Stichtag für die Steuererklärung in den USA, im ganzen Land erschallte – verstärkt durch Fox News, den konservativen Nachrichtensender aus dem Hause Murdoch. Der TV-Moderator Glenn Beck und Sarah Palin avancierten zu Galionsfiguren der populistischen Protestbewegung.
Bei den Midterm Elections, den Zwischenwahlen im vorigen November, etablierte sich die Tea Party als politische Kraft. Die Dynamik der heterogenen Tea-Party-Gruppen, die oft nicht mehr verbindet als ihre Abneigung gegen Washington, verhalf den Republikanern zum Wahlsieg. In der republikanischen Führung hofften damals manche, sie könnten den missionarischen Furor der Tea-Party-Abgeordneten domestizieren – ein Trugschluss.
Der Politologe Dan Schnur, einst als Stratege im Dienst des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, ortet in der Tea Party das rechte Äquivalent zu den Vietnam-Kriegsgegnern der 1960er-Jahre. Sie spalteten die Demokraten – und brachten so den Republikaner Richard Nixon ins Weiße Haus.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2011)