Moskaus Drohung – Figls Charme

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Spannende Lektüre: Die Ministerratsprotokolle der Regierungskoalition Figl/Schärf 1947 offenbaren einen unbändigen Zukunftsoptimismus trotz trister Versorgungslage.

Wien, 18.Februar 1947: Ein Winter des Hungers, der Entbehrungen, der Kälte. Eine schwarz-rote Koalitionsregierung mit dem unverwüstlichen Leopold Figl an der Spitze und einem KPÖ-Vertrauensmann in der Regierung: Der nun endlich edierte Band Nr. 5 der stenografischen Ministerratsprotokolle ermöglicht uns einen Einblick in die Sitzungen, als wären wir dabei gewesen. Figl, sein Vizekanzler Adolf Schärf von der SPÖ, die 13 Bundesminister (und zwei Staatssekretäre) kämpfen um das Nötigste für die ausgehungerte, erschöpfte Bevölkerung. Und das fast zwei Jahre nach Kriegsende. Die „Alpine Montan“ hat ihre Produktion auf 15 Prozent gedrosselt. Das ist schlimm. Denn die sowjetische Besatzungsmacht beharrt stur auf den Lieferungen, die als Sühneleistung für die Kriegsschäden von den Ostösterreichern (und den Ostdeutschen) allmonatlich nach Russland gehen müssen.

Ausgerechnet jetzt kommt da eine Weisung des sowjetischen Hochkommissars Generaloberst Vladimir Vasilevich Kurasov besonders ungelegen, sie trägt die Nr. 152: Die Regierung Figl habe noch immer nicht das Vermögen der ehemaligen NSDAP in Österreich an die russische Kriegsbank überwiesen! Die Gelder waren 1945 auf ein Postsparkonto gelegt worden, die Russen beanspruchten es als „Deutsches Eigentum“. Wenn Figl nicht bald die Nationalbank anweise, die Millionen locker zu machen, komme das „einem unerhörten Rechtseingriff und feindseligen Akt gegen die UdSSR gleich“, droht der allmächtige Statthalter. Der Ministerrat nimmt die Demarche – auch mit den Stimmen des KP-Ministers Altmann– „zur Kenntnis“ und tut vorläufig einmal gar nichts.

Pression und Widerstand

Dieser Ton der unverhüllten Pressionen und der freundlich-listigen Gegenaktionen der Österreicher zieht sich quer durch die 700Seiten. Aber es gibt auch Kabarettistisches abseits der hohen Politik, mit der sich die Herren der Regierung beschäftigen müssen. In derselben Sitzung wird auch der Text der Dichterin Paula Molden-Preradović für die neue „Volkshymne“ abgesegnet (siehe unten). Bundespräsident Karl Renner hat sich im Vorfeld auch dazu gemeldet: Die Regierung müsse, bitte, bei den künftigen Staatsvertragsverhandlungen darauf dringen, dass Deutschland die Verwendung der Melodie der altösterreichischen „Kaiserhymne“ untersagt werde!

So schlecht auch die Zeiten sind – in Österreich hofft man 1947, schon demnächst einen Friedensvertrag zu bekommen, die unerträglichen Besatzungsschikanen loszuwerden und wieder eine eigene Armee aufstellen zu dürfen. Figl warnt am 25. Februar seine Kabinettskollegen, in der Öffentlichkeit über das geplante Bundesheer etwas auszuplaudern: „Zu den normierten 50.000 Mann, zu denen der Grenzschutz und die Gendarmerie zählen, sollen noch evtl. 5000 Mann für die Luftwaffe hinzukommen. Der Gesamtstand an Soldaten dürfte sich aber auf ca. 30.000 Mann belaufen. Was ihre Bewaffnung anlangt, so wird auch diese Frage für uns schwierig sein, da wir keine Erzeugungsstätten haben und aus Eigenem die Waffen aufbringen sollen...” – Finanzminister Georg Zimmermann (V): „Handelt es sich um eine Miliz oder um ein Söldnerheer?” – Figl: „Die Schaffung eines Söldnerheeres wurde abgelehnt, es kommt die allgemeine Wehrpflicht.”

Am 29.April 1947 glaubt der Ministerrat noch ganz fest an einen baldigen Staatsvertrag. Die positive Stimmung überrascht einigermaßen, denn bei den vorangegangenen Außenministergesprächen in Moskau stockte die Causa „Österreich”. Aber nicht nur Figl ist von einem unerschütterlichen Optimismus, auch Außenminister Karl Gruber berichtet Erstaunliches aus Moskau: Die Russen verlangten, dass Österreichs Staatsgrenze nicht befestigt werden dürfe. Vorhandene Sperren seien zu schleifen. Österreich besitzt aber gar keine Grenzbefestigungen, also wurde der Passus wieder aus dem Vertragsentwurf entfernt.

Ohne höhere Wehrmachtsoffiziere

Schon bald, glauben die Herren erneut, werde Österreich ein Heer aufstellen dürfen. Offiziere der Wehrmacht vom Oberst aufwärts dürfen nicht aufgenommen werden. „Vier bis sechs Wochen” werde man schon noch warten müssen, meint Gruber, dann sei der Staatsvertrag unterschriftsreif. Und wo spießt es sich? Beim „Deutschen Eigentum”, das die Russen samt und sonders für sich beanspruchen. Es sollte, wie wir wissen, noch bis 1955 dauern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2011)

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