Schwache Polizei-Reaktion als Antrieb für Plünderer?

BRITAIN RIOTS
BRITAIN RIOTS(c) EPA (David Jones)
  • Drucken

Im Zuge der anhaltenden Krawalle in vielen englischen Städten steht die Polizei in der Kritik. Anrainer nehmen die Ordnung oft selbst in die Hand.

Nach den Krawallen in London haben Kritiker der britischen Polizei vorgeworfen, zu zögerlich auf den Ausbruch der Unruhen reagiert zu haben. An vielen Orten in der britischen Hauptstadt kam es während der Ausschreitungen zu Einsätzen von spontan organisierten Bürgerwehren. Als Reaktion ordnete der britische Premier David Cameron den Einsatz von 16.000 zusätzlichen Polizeikräften an und erlaubte ihnen - erstmals in einer englischen Stadt - den Einsatz von Gummigeschoßen.

Kommentatoren in den britischen Medien sehen die schwache Reaktion der Polizei als Antrieb für Randalierer und Plünderer. "Nachdem sie im Fernsehen sahen, wie wenig den Plünderern in Tottenham entgegengesetzt wurde, wurde jeder Kriminelle und jeder vergnügungssüchtige Jugendliche in London aufmerksam", hieß es in der Zeitung "Daily Telegraph".

"Organisierter als die Polizei"

Hochrangige Polizeioffiziere bestätigten jedoch der Zeitung "Guardian", dass es in den ersten Nächten der Unruhen Order gegeben habe, nicht aktiv in das Geschehen einzugreifen. Erst nach öffentlichem Aufruhr über das passive Verhalten der Sicherheitskräfte ordnete der Premierminister ein hartes Durchgreifen an.

Die Jugendlichen seien organisierter als die Polizei, spöttelten Boulevardblätter. Zuvor war in Medien spekuliert worden, welche Rolle die Vernetzung von Jugendlichen via der Handy-Software BlackBerry Messenger für die Koordination der Ausschreitungen gehabt habe. In einzelnen Berichten hieß es, die Jugendlichen hätten sich zu den Krawallen förmlich verabredet. Ob dies zutrifft, ist schwer einzuschätzen.

Erster Einsatz von Plastikgeschoßen

Erstmals auf englischem Boden sollen die Polizeikräfte nun Plastikgeschoße gegen Demonstranten einsetzen. Solche Mittel wurden bisher nur von den Sicherheitskräften im chronisch konfliktträchtigen Nordirland angewandt. Die Londoner Polizei trägt für gewöhnlich keine Schusswaffen, sondern lediglich Schlagstöcke mit sich.

Der Schritt zu Schusswaffen und Plastikkugeln ist insofern ein Novum, als die "Metropolitan Police" - auch als "Scotland Yard" bekannt - in den vergangenen dreißig Jahren viel Mühe auf das Kultivieren eines "weichen" Images verwendet hat.

Erinnerung an "Brixton Riots"

Im Jahr 1981 war am Rande eines Polizeieinsatzes im Stadtteil Brixton ein schwarzer Jugendlicher gestorben - daraufhin brachen die berüchtigten "Brixton Riots" aus. In den folgenden Jahren bemühte sich die Polizei, engere Anbindung an die Bevölkerung in den ärmeren Stadtteilen Londons zu knüpfen. Die Polizei betont seither die jahrhundertealte Tradition der "Grätzelpolizei" in London. "Wir werden 180 Jahre nachbarschaftlicher Polizeiarbeit nicht wegwerfen, aber das heißt nicht, dass die Met sich vor irgendeiner Taktik scheut", sagte der leitende Beamte Steve Kavanagh am Montag.

In vielen Teilen Londons nahmen unterdessen die Einwohner die Ordnung selbst in die Hand. Im Viertel Stoke Newington im Norden Londons stellten sich Hunderte Ladenbesitzer, teils mit Baseball-Schlägern bewaffnet, auf die Straße, um ihre Geschäfte zu verteidigen, berichtete der "Daily Telegraph". Ähnliches habe sich auch in dem Bezirk Clapham ereignet, wo Einwohner eine Barrikade bildeten, um Plünderern den Zutritt zu ihrer Wohngegend zu verwehren. Die Polizei forderte Geschäftsinhaber sogar auf, "vorbeugende Maßnahme zu ergreifen", und private Sicherheitsleute einstellen, so dies möglich sei.

(Ag.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Jugendkriminalitaet Gangs London
Weltjournal

Jugendkriminalität: Die Gangs von London

Laut Schätzungen sind mindestens sechs Prozent der britischen Jugendlichen in Straßengangs organisiert. Sie handeln mit Drogen, brechen ein, stehlen und liefern sich teils bewaffnete Kämpfe mit rivalisierenden Gangs.
Mittelamerika sind Kinder Teufels
Weltjournal

Mittelamerika: "Wir sind die Kinder des Teufels"

Mittelamerika wird seit Jahren von den "Maras" terrorisiert, ultrabrutalen Jugendbanden, deren Mitglieder sich fast schon als religiöse Gemeinschaft begreifen.
Birmingham Abschied Opfern Krawalle
Weltjournal

Birmingham: Abschied von Opfern der Krawalle

Tausende trauern um die drei Männer, die starben, als sie Geschäfte vor Plünderern schützen wollten. Sie werden in der muslimischen Gemeinde in Birmingham als Märtyrer verehrt.
Archivbild: Unruhen in England.
Weltjournal

Krawalle in England: Kritik an harten Strafen

Zwei junge Briten wurden zu je vier Jahren Haft verurteilt, weil sie über Facebook zu Krawallen aufgerufen hatten. Dies sei unverhältnismäßig, sagen Kritiker.
A burning car set alight during the second night of civil disturbances in central Birmingham, England
Weltjournal

England: Kommt Hausarrest für Jugendliche?

Die britische Innenministerin fordert drastische Maßnahmen im Kampf gegen die Bandenkriminalität. Ein 16-Jähriger wurde in London nach den Unruhen wegen Mordes angeklagt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.