HIV: Medikamente vom Acker

Medikamente Acker
Medikamente Acker(c) EPA (Vassil Donev)
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In einem EU-Projekt wurden Antikörper gegen HIV entwickelt, die von Tabakpflanzen produziert werden. Sie werden nun erstmals am Menschen getestet. Die Hoffnungen der Forscher sind groß.

Für Europa ist das eine absolute Premiere: In Großbritannien starten nun klinische Tests mit einem Antikörper, der Aids-Viren (HIV) unschädlich machen soll – und zwar in Form eines Vaginalgels. Im ersten Schritt wird an elf Frauen die Verträglichkeit getestet. Das Besondere dabei: Der Antikörper wird in Pflanzen hergestellt – derzeit werden therapeutische Proteine ja meist in Bakterien oder in Säugetierzellkulturen produziert. Das ist aufwendig und teuer, Pflanzen versprechen dagegen eine einfachere und billigere Produktion.

Entwickelt wurde die Technologie in dem EU-Projekt „Pharma-Planta“, an dem 28 akademische Forschergruppen und vier Unternehmen beteiligt sind. Österreichische Wissenschaftler spielen dabei eine Schlüsselrolle: Der Antikörper namens P2G12 wurde von Hermann Katinger, Mikrobiologe an der Universität für Bodenkultur und Gründer des Biotech-Unternehmens Polymun, entwickelt – das Molekül ist eines von einer Handvoll weltweit, die nachweislich HIV neutralisieren. Eva Stöger, seit drei Jahren Professorin an der Boku, hat die für die Antikörperproduktion notwendigen Gene in die Pflanzen eingeschleust. Zudem steuerten andere Boku-Forscher wertvolles Wissen über Glykanstrukturen bei – das sind Zuckerketten, die an Proteine angeheftet sind und erst die biologische Wirkung ermöglichen.

„Pflanzen können ähnlich wie Säugetierzellen funktionstüchtige menschliche Proteine herstellen“, erläutert Stöger. Was auf den ersten Blick paradox erscheint, denn Pflanzen produzieren von sich aus keine Antikörper – das machen nur Tiere, die damit eine wirkungsvolle Waffe gegen Viren und Bakterien haben. Doch mit gentechnischen Methoden kann man Pflanzen dennoch dazu bringen, dass sie Antikörper herstellen und richtig falten.

Es gibt eine Reihe von Methoden, um die „Baupläne“ für die Proteine in das Pflanzengenom zu integrieren. Die einfachste ist der Natur abgeschaut: Das Bodenbakterium Agrobacterium tumefaciens besitzt die Fähigkeit, Gene in Pflanzen einzuschleusen. Das hat Stöger – damals war die gebürtige Salzburgerin noch an der Technischen Hochschule Aachen tätig – dazu benutzt, um die Tabakpflanzen zur Produktion von Antikörpern zu bringen. Eine andre Methode, die salopp „DNA-Kanone“ genannt wird, wurde hingegen bei Mais angewandt: Dabei werden die Pflanzenzellen mit Goldkügelchen bombardiert, die mit DNA überzogen wurden. In manchen Zellen gelingt die Integration der Gene, diese produzieren die gewünschten Substanzen – man kann sie dann aus Blättern, Samen oder Früchten gewinnen.

Für die klinischen Tests wurden genetisch manipulierte Tabakpflanzen ausgewählt. Die Forscher hoffen nun, dass die Antikörper ihre Wirkung, die sie im Labor haben, auch beim Menschen entfalten. Allerdings ist klar: „Ein Antikörper allein wird nicht reichen“, so Stöger. Denn es gibt mehrere HIV-Stämme, und diese verändern sich ständig. Doch eine Kombination mehrerer Antikörper mit anderen antiviralen Mitteln könnte zum Ziel führen: ein billiges Mittel, um die Ausbreitung von HIV einzudämmen.

So segensreich ein solches Vaginalgel gegen Aids-Ansteckung für die Welt – insbesondere in Entwicklungsländern, in denen mehr als 30 Millionen Menschen HIV-positiv sind und jährlich zwei Millionen daran sterben – auch sein mag: Diese konkrete Anwendung ist nicht das einzige Ziel des EU-Projekts. Vielmehr sollen ganz allgemein Pflanzen als Produktionssystem für menschliche Proteine in Europa etabliert werden. Weltweit wird von vielen Forschergruppen und Biotech-Unternehmen an der Proteinproduktion in Pflanzen („Molecular Farming“) gearbeitet – bald werden auch die ersten Medikamente auf den Markt kommen. „Pharma-Planta“ ist nun aber das erste System, das von den europäischen Behörden zugelassen wurde. „Die regulatorischen Hürden sind sehr hoch“, so Stöger. Die gentechnisch veränderten Pflanzen werden ausschließlich in speziellen und gesicherten Gewächshäusern in Aachen wachsen – dort werden auch die Inhaltsstoffe abgetrennt und gereinigt. An eine Freisetzung auf einen Acker ist nicht gedacht – anders, als es Forscher in den USA oder in Island machen.

Die Hoffnungen der Forscher und die Erwartungen von Pharma-Firmen sind groß, denn Pflanzen haben gegenüber Bakterien oder Säugetierzellen große Vorteile: Die Produktion ist günstiger, die Methode ist leicht „skalierbar“ – das heißt, dass man einfach mehr Pflanzen anbaut, wenn größere Wirkstoffmengen benötigt werden. Zudem bieten Pflanzen eine höhere Sicherheit: In ihnen können sich keine Viren oder andere Krankheitserreger vermehren. Das ist bei herkömmlichen Methoden ein echtes Problem.

Gentechnisch manipulierte Pflanzen müssen vielen Sicherheitsvorschriften gerecht werden – insbesondere dann, wenn Medikamente aus ihnen hergestellt werden sollen. Die Tabakpflanzen zur Antikörperproduktion sind leicht von natürlichen Arten unterscheidbar: Die genetisch veränderten Zellen leuchten rot auf, wenn sie mit Grünlicht bestrahlt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2011)

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