Mircea Geoana: „Das Schengen-Regime stößt an seine Grenzen“

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Rumäniens Senatspräsident, Mircea Geoana, sieht in einem partiellen, auf die Flughäfen beschränkten Beitritt seines Landes zur Schengen-Zone einen eleganten Ausweg aus der hitzigen Beitrittsdebatte.

Die Presse: Herr Senatspräsident, in Brüssel soll im September über den Beitritt Rumäniens zur Schengen-Zone entschieden werden. Innenminister Traian Igas hat kürzlich erklärt, er rechne mit einem Beitritt im Oktober. Teilen Sie diesen Optimismus?

Mircea Geoana: Unter normalen Umständen wären wir seit März dabei. Leider sind die Umstände nicht normal. Aus der technisch-prozeduralen Perspektive ist alles, wie es sein sollte. Probleme macht die Politik, es gibt Verdächtigungen seitens einiger EU-Mitglieder, was Korruption anbelangt. Wie lange es dauern wird, bis Rumänien akzeptiert wird, hängt davon ab, in welcher Hauptstadt man darüber spricht. In Berlin wird nicht ausgeschlossen, dass Rumänien im Herbst – zumindest was die Einreise per Flugzeug anbelangt – beitreten darf, und die Land- und Seegrenzen vom Schengen-Regime ausgeklammert bleiben.

Das wäre aber neu. Bis dato hat es einen derartigen Fall noch nicht gegeben: eine teilweise Mitgliedschaft in der Schengen-Zone. Ist das nicht übermäßig kompliziert?

Am einfachsten wäre es, sich an Vereinbarungen zu halten. Aber Politik ist Politik, und europaweit nehmen die Sorgen im Zusammenhang mit Zuwanderung zu. Ein partieller Beitritt wäre ein kontrolliertes Unterfangen, das zugleich den totalen Vertragsbruch verhindern könnte. Die Infrastruktur der Flughäfen ist bestens ausgebaut, die Schengen-Konformität wäre dort auf jeden Fall gewährleistet. Ob sich dieser Vorschlag durchsetzen kann? Ich weiß es nicht. Die Entscheidung der EU muss einstimmig sein. Und wie Sie wissen, gibt es Widerstände, etwa in den Niederlanden...

...aber warum eigentlich? Warum ist das Verhältnis mit den Niederlanden so gespannt?

Weil in Den Haag eine Koalition an der Macht ist, die auf die Unterstützung einer Rechts-außen-Partei angewiesen ist. Und diese Partei hat in ihrem Manifest erklärt, weder Rumänien noch Bulgarien sollen der Schengen-Zone beitreten dürfen. Da geht es um innenpolitische Befindlichkeiten. Wir sollten aber eine Lösung finden, denn das Schengen-Regime in seiner jetzigen Form ist an seine Grenzen gestoßen. Hier sind die Deutschen richtungsweisend, wenn sie die Möglichkeit eines zeitweisen Austritts oder Ausschlusses eines Landes aus der Schengen-Zone schaffen wollen – sollten etwa die anderen Mitglieder zur Einsicht gelangen, das betroffene Land sei von den Ereignissen überrollt und nicht in der Lage, die Grenzen adäquat zu kontrollieren.

Halten Sie diesen Weg für gangbar? Schließlich hatte es immer geheißen, die europäische Integration solle auf keinen Fall rückgängig gemacht werden dürfen.

Das stimmt, denn in der Politik gibt es die Tendenz, Ausnahmen zu Regeln zu machen. Aber was soll man tun, wenn Dänemark Zollkontrollen wieder einführt, und zwar aus rein innenpolitischen Gründen? Zur EU-Kommission gehen, die dann die Umsetzung der Verträge erzwingen darf? Wir sollten diese Angelegenheit schleunigst auf die europäische Ebene heben und sie nicht als Spielball der Innenpolitik belassen. Wenn die jüngsten Krisen eine Wiederbesinnung auf die Nationalstaaten notwendig machen, wie es der ungarische Regierungschef Viktor Orbán kürzlich erklärte, dann werde ich skeptisch.

Also sind Sie, anders als Premier Orbán, kein Freund eines Europas der Nationen.

Nein. Die Krisen, mit denen wir zu kämpfen haben, erfordern ein Mehr an Europa. Wie kann selbst ein so großes Land wie Deutschland im Alleingang dem Druck einer globalisierten Wirtschaft standhalten? Hier wird eine Utopie herbeigewünscht, die mit der Realität nichts zu tun hat. Damit kann man auf kurze Sicht Stimmen kaufen, aber keine nachhaltige Politik machen.

Die Gegner der Schengen-Erweiterung verweisen immer wieder auf die Probleme Rumäniens bei der Bekämpfung der Korruption. Die EU-Kommission hat in ihrem jüngsten Bericht Fortschritte gelobt, aber zugleich weitere Reformen eingefordert. Ist die Kritik legitim, oder wird hier wieder einmal innenpolitisches Kleingeld gemünzt?

Sie ist beides. In Rumänien gibt es Probleme beim Zoll und Grenzschutz. Zugleich ist die Kritik politisch. Wenn man nämlich die Probleme der Schengen-Zone lösen will, muss man einen ganzheitlichen Ansatz wählen und sich nicht nur auf Rumänien versteifen.

Was kann Bukarest in dieser Lage tun? Die Zeiten ändern sich, die Politiker in Frankreich und den Niederlanden werden nervös...

Es liegt in unserem Interesse, die Grenzen zu sichern. Durch die Grenzkontrollen verlieren wir Zeit und Geld. Ich erwarte, dass die Untersuchungen gegen rumänische Grenzbeamte wegen Korruptionsverdachts weitergehen werden. Die gesamte Gesellschaft erwartet das, sie will wissen, wie weit die Verstrickungen reichen.

Zurück zu Viktor Orbán: Was halten Sie eigentlich vom ungarischen Plan, allen Auslandsungarn die ungarische Staatsbürgerschaft zu geben?

Das hat in Rumänien keinen Aufschrei verursacht. Wahrscheinlich, weil Bukarest 2009 einen ähnlichen Schritt gegenüber Moldawien gesetzt hat. Aber es gibt Bedenken. Vor allem hinsichtlich der Maßnahme, allen Auslandsungarn das Recht zu geben, bei Wahlen in Ungarn mitzustimmen. Ich halte das für übertrieben.

Also Pässe ja, Wahlrecht nein...

...Nein, nicht einmal Pässe. Zumindest innerhalb der EU ist das, denke ich, nicht notwendig. Es gibt ohnehin den freien Personenverkehr. Das ist aktive Nostalgie, die Ungarns Regierung da betreibt.

Auf einen Blick

Der 1958 geborene Mircea Geoanahat eine steile Karriere hinter sich: 1996 wurde der Jurist als jüngster Botschafter Rumäniens in die USA entsandt. Ende 2000 wechselte er an die Spitze des Außenamts und war in dieser Funktion an den EU-Beitrittsverhandlungen Rumäniens maßgeblich beteiligt. Seit 2008 ist Geoana Präsident des Senats. 2009 unterlag der Sozialdemokrat bei der Präsidentenwahl knapp dem Amtsinhaber Traian Basescu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2011)

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