Die Windkraftpioniere der Dobrudscha-Ebene

(c) Clemens Fabry
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An der rumänischen Schwarzmeerküste errichten internationale Unternehmen Windparks im großen Stil. Bis 2020 will Rumänien ein Viertel seines Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen beziehen.

Ein ästhetischer Schandfleck? Aber nein! Für Petrica Ilie sind die Windkraftwerke, die bald in Sichtweite ihres Hauses in die Höhe ragen werden, vielmehr ein Grund zur Freude. Die 76-Jährige wohnt mit ihrem Mann im Dorf Cogealac im Landkreis Constanta. Die tschechische Firma CEZ installiert hier gerade die letzten Windanlagen – und füllt damit auch die Geldbörse der Ilies.

Petricas Mann, er arbeitete als Traktormechaniker auf der Kolchose und war später Bürgermeister, erhält eine Rente von 300 Euro im Monat. Bald bekommen die Ilies noch einmal so viel von CEZ auf die Hand. Denn das Paar verpachtete ihre 4,5 Hektar an das Unternehmen. „Für mich eine Verdopplung meines Einkommens, für einen Konzern wie CEZ keine große Investition“, sagt Frau Ilie.

Die Energiewende ist in Rumänien angekommen. Und das lange als rückständig geltende Land am südöstlichen Rand der Europäischen Union freut sich auf diese Zukunftsperspektive. Nirgendwo sonst lässt sich der neue Trend deutlicher spüren als in der Dobrudscha, jener Tiefebene zwischen Donau und Schwarzem Meer, die riesiges Potenzial für den Ausbau der Windkraft bietet.

Erste Ergebnisse gibt es bereits: Laut einem Bericht des Europäischen Verbands für Windenergie (EWEA) stieg die Gesamtkapazität allein im Jahr 2010 von fast null auf rund 450 Megawatt (MW). Bis 2017 sollen in Rumänien 5000 MW aus Windfarmen gewonnen werden, so der rumänische Verband für Windenergie. Bis 2020 soll ein Viertel des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen kommen. Für das kommende Jahrzehnt erwartet man Investitionen in der Höhe von 8,5 Mrd. Euro. Ausländische Unternehmen wie Iberdrola, EON und CEZ wollen in Rumänien Windparks bauen.

Konkurrenz für Atomkraftwerk

Einer der ambitioniertesten Projektentwickler ist die tschechische CEZ mit einer Gesamtinvestition von 1,1 Mrd. Euro. In den Dörfern Cogealac und Fantanele baut die Firma den bisher größten Onshore-Windpark Europas: Laut Plan sollen 240 Anlagen installiert werden, knapp 120 davon sind bereits ans Netz gegangen. „Wir werden ungefähr so viel Strom produzieren können wie ein Reaktor des Atomkraftwerks im nahe gelegenen Cernavoda“, verkündet Jan Veskrna, Geschäftsführer von CEZ Rumänien.

Tatsächlich könnten Rumäniens neue Windenergieprojekte innerhalb von zwei oder drei Jahren die Kernkraft überholen oder sogar überflüssig machen. Das einzige AKW im Land liegt an der Donau, nur 60 Kilometer von der Küste entfernt. Mit zwei Reaktoren deckt es ein Fünftel des rumänischen Bruttostromverbrauchs.

Offiziell gilt die Anlage als sicher, doch nach mehreren Pannen werden die Beteuerungen der Regierung immer häufiger von Nichtregierungsorganisationen hinterfragt. Wie auch in anderen osteuropäischen Ländern spielen in Rumänien Umwelt- und Energiethemen nur selten eine prominente Rolle in der politischen Debatte. Für die breite Öffentlichkeit ist eine Antiatomkraftbewegung wie in Österreich oder Deutschland ein exotisches Phänomen, und der Ausstieg aus der Kernkraft angesichts der politisch viel problematischeren Abhängigkeit vom russischen Gas eher unwahrscheinlich.

Doch auch die Windkraft hat keine Akzeptanzprobleme. Denn mit Ausnahme der Tourismusindustrie in den Badeorten direkt an der Schwarzmeerküste boten sich für die Dobrudscha-Dörfer bis vor Kurzem kaum ökonomische Perspektiven. Ein Ende der Armut und der ländlichen Subsistenzwirtschaft war nicht in Sicht. Ausgerechnet die besonderen Wetterbedingungen der Region eröffnen jetzt vielen Dorfbewohnern eine unerwartete Möglichkeit zur Verbesserung ihres Lebensstandards.

Petrica Ilies Nachbar Gheorghe Kraus, 39, wartet noch auf einen Investor für seinen Acker. Auf seinen knapp drei Hektar baut er weiterhin Mais als Futter für seine fünf Schweine und 100 Stück Geflügel an. „Für Eier und Hühnerfleisch bieten die Großhändler lächerliche Preise, wir haben kein Geld für moderne Technologien“, sagt der Mann. Kraus und seine Familie können nicht von der Landwirtschaft allein leben; er muss mit kleinen Bauarbeiten bei den Nachbarn etwas dazuverdienen.

Eine letzte Hürde müssen die Pläne der Windkraftpioniere noch überwinden: die umständlichen Amtswege und das wenig transparente Agieren der Bürokratie. Anfang des Jahres verzichtete der deutsche Konzern RWE auf die Beteiligung an einem 250-Mio.-Euro-Projekt in Valea Dacilor, einem anderen Dorf im Landkreis Constanţa. Aufgrund des „schwierigen Genehmigungsverfahrens“, wie es aus Firmenkreisen heißt, stieg das Unternehmen aus dem Geschäft mit der Windenergie aus und verkaufte seine Aktien an den rumänischen Projektentwickler.

Ein Markt für Südeuropäer

Anders als RWE finden sich südeuropäische Unternehmen auf dem rumänischen Markt gut zurecht und investieren erhebliche Summen in ihre Projekte. So kündigte der weltweite Marktführer Iberdrola Renovables im März den Baustart für seinen ersten Dobrudscha-Windpark an. Bis 2017 ist der Bau 50 weiterer Projekte vorgesehen. Mit einer Gesamtkapazität von 1500 MW soll der Komplex den Energiebedarf von mehr als einer Million Haushalte decken.

Auch die portugiesische Firma EDP Renováveis und die Enel Green Power, Tochterfirma des größten italienischen Stromversorgers Enel, gelten als wichtige Akteure auf dem rumänischen Windenergiemarkt. „Bürokratie und Korruption bei den Kommunalverwaltungen sind zwar bedauerlich, aber normal für ein Land wie Rumänien“, heißt es dazu betont locker aus Investorenkreisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2011)

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