Die katholische Kirche ist nicht (mehr) von dieser Welt

Gewalttätige Proteste gegen den Papst in Madrid, Großdemo demnächst in Berlin, Aufruf zum Ungehorsam in Wien: Rom hat sich den Widerstand hart erarbeitet.

Kann Kardinal Christoph Schönborn dieser Tage tatsächlich glücklich sein? In Zeiten, in denen sein großer Widerpart im – auch sonst nicht immer einfachen – Klerus der Erzdiözese, Helmut Schüller, von Medium zu Medium gereicht wird. In denen sein früherer Manager der Tagesarbeit wegen eines „Aufrufs zum Ungehorsam“ fast schon als eine Art Messias gefeiert wird. Während auch andere reformbewegte Kräfte innerhalb (wie lange noch?) der katholischen Kirche Österreichs mit Eskalation drohen, falls Schönborn doch, wie das nicht wenige in Rom von ihrem Wiener Filialleiter erwarten, disziplinäre Schritte gegen Schüller setzt. Nochmals: Kann Kardinal Schönborn dieser Tage tatsächlich glücklich sein?

Doch, er kann. Zugegeben: nicht in Wien, sondern im fernen Madrid. Dort durfte er wenige Stunden vor der gestrigen Ankunft des Papstes mit Jugendlichen in einer knallvollen Kirche beim Weltjugendtag richtig feiern. Fromm, enthusiastisch, engagiert, idealistisch: So mag Schönborn die Jugend, von der er daheim, im nur noch rudimentär katholischen Wien, immer weniger zu Gesicht bekommt. Hier in Madrid ist sie. Der Papst ruft – und eine Million Jugendliche aus aller Welt kommen. Alles paletti für den Papa? Fast.

Immer häufiger werden Besuche des Papstes von immer lauteren Protesten gegen ihn begleitet. Jetzt in Madrid sah sich die Polizei sogar gezwungen, mit Gummiknüppeln gegen Demonstranten vorzugehen. Zwischen 2000 (laut von Österreichs Bischöfen finanzierter Katholischer Presseagentur), 5000 und mehreren Tausend (ORF) hatten gegen das Kommen des Oberhaupts der Katholiken protestiert. 5000 gegen eine Million. Das ist nicht viel. Papst und Kirche werden Derartiges locker wegstecken. Aber es ist unbestreitbar, dass Kritik gegen Amtsträger der katholischen Kirche, gegen die Institution an sich und gegen Glaubende generell immer unentspannter artikuliert wird. Spannende Zeiten allemal.

Rom und die Bischöfe haben sich die rauer werdende Gangart, die gegen sie eingeschlagen wird, hart erarbeitet. Das – Ausnahmen bestätigen die Regel – über Jahrzehnte hinweg völlig unakzeptable Vorgehen beim Auftauchen von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester hat der Glaubwürdigkeit der Institution nachhaltigen immateriellen Schaden zugefügt. Dass daraus auch immenser materieller Schaden vor allem in den USA erwachsen ist, sei nur am Rande erwähnt.

Dazu kommt, dass besonders in Europa der Reformdruck von nicht wenigen – auch, ja vielleicht gerade in der Priesterschaft – als kaum noch erträglich empfunden wird. Die Kirchenleitung reagiert in unbewährter Manier mit Abwehr oder Versuchen, Debatten erst gar nicht hochkommen zu lassen. Und unterminiert damit selbst ihre eigene Autorität. Letzter Hinweis darauf, wie gefährlich fortgeschritten das Zerbröseln dieser Autorität bereits ist, war eben der Aufruf der Pfarrerinitiative zum Ungehorsam. Natürlich muss gefragt werden, ob sich die Provokation des Titels über einen sonst fast ausschließlich harmlosen altbekannten Wunschkatalog der Sache als besonders dienlich erweisen wird. Denn statt eine Debatte beispielsweise über den Umgang mit Geschiedenen, die wieder geheiratet haben, oder über die Zukunft schrumpfender Gemeinden bei schrumpfenden Priesterzahlen zu führen, verzetteln sich die Beteiligten auf beiden Seiten nun in Betrachtungen über Sinn, Unsinn und Grenzen priesterlichen Gehorsams. Sicher alles wahnsinnig wichtig und kirchenrechtlich bedeutsam. Nur geht es an der Lebensrealität der Mehrheit der Katholiken eher vorbei.

Die erleben ein Weghören und Ignorieren von Forderungen, die seit Jahrzehnten auf der Agenda stehen – nicht um Reformen bloß der Reformen wegen durchzuführen, sondern um der Institution den Anschluss an die Gegenwart zu geben. Wie das auch in den vergangenen 2000Jahren fortwährend geschehen ist. Heute aber präsentiert sich die katholische Kirche oft als nicht (mehr) von dieser Welt. Über eine Gemeinschaft, zu deren Credo das Kommen von Gottes Sohn in die Welt gehört, kann wohl kaum ein vernichtenderes Urteil gefällt werden.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2011)

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