Der Attentäter von Oslo hasst Moslems, die nach Europa kommen. Im Islam im Nahen Osten sieht er jedoch einen Bündnispartner.
Für Verfechter des Kampfbegriffs „Islamophobie“ wurde durch das Massaker von Oslo endgültig bewiesen, dass der traditionelle Antisemitismus durch einen Hass auf den Islam abgelöst worden sei. Doch ein Blick in Anders Breiviks „Manifest“ könnte einen eines Besseren belehren. Weder erteilt er dem Antisemitismus eine Absage, noch stürzt er sich in blindem Hass auf den Islam.
Sein Antisemitismus äußert sich unter anderem darin, dass er in Westeuropa nur deswegen kein „jüdisches Problem“ sieht, weil die dortigen jüdischen Gemeinden ausgesprochen klein seien – abgesehen von Frankreich und Großbritannien, wo, wie Statistikfan Breivik referiert, 800.000 Jüdinnen und Juden leben, was eben doch wieder, ganz so wie in den USA, ein „jüdisches Problem“ hervorrufe. Wohl nur aufgrund der geringen Zahl von Jüdinnen und Juden in Europa will Breivik „nicht den gleichen Fehler wie die NSDAP“ machen.
Breivik hasst Moslems, die sich in Europa niedergelassen haben. Dem Islam jedoch kann er einiges abgewinnen. Er müsse zwar aus Europa herausgehalten werden, komme ansonsten aber durchaus als Bündnispartner im Kampf gegen die „US/EU-Globalisten“ infrage. Selbst die Errichtung eines von „frommen Muslimen geführten Kalifats im Nahen und Mittleren Osten“ hält Breivik unter bestimmten Umständen für ein unterstützenswertes Projekt, was insbesondere angesichts seiner ausgeprägten Misogynie überhaupt nicht verwunderlich ist. Umso bemerkenswerter, dass sein archaisches Frauenbild und seine Spekulationen über den Islam als potenziellen Partner im Kampf gegen die „Kulturmarxisten“ in der bisherigen Diskussion über die Anschläge von Oslo kaum eine Rolle spielt.
Der Versuch, linke und liberale Kritiker des Islam in die Nähe von Breiviks eklektizistischen Irrsinn zu rücken, stellt nichts anderes als ein durchschaubares Manöver dar, mit dem jegliche Kritik an der islamischen Menschenzurichtung unter Rassismusverdacht gestellt werden soll. Sich über die geistige Nähe von Neonazis und den eingeborenen postnazistischen Erben der NSDAP zu Breivik Gedanken zu machen, ist hingegen alles andere als abwegig. Der Massenmörder teilt mit ihnen nicht nur den Antisemitismus, sondern auch jene Mischung aus Hass auf und Neid gegenüber dem Islam, die ohne eine gewisse Bewunderung nicht auskommt. Solche Leute nehmen jede neue Dönerbude in ihrer Wohngegend als existenzielle Bedrohung wahr, dem islamischen Furor im Orient können sie aber kaum anders als durch ehrerbietende Anerkennung begegnen. Ihr Ziel ist die Verwirklichung einer zur Gemeinschaft formierten Gesellschaft, die Materialismus und Individualismus entsagen soll, worin erschreckenderweise auch gar nicht wenige Linke eine Perspektive sehen.
„Zersetzende“ Kritik
Mit den deutschen und österreichischen Nachlassverwaltern der Nazi-Ideologie teilt Breivik aber nicht nur den Neid gegenüber der gemeinschaftsstiftenden Kraft des Islam, sondern auch den Hass auf die „Frankfurter Schule“, also die Kritische Theorie von Theodor W. Adorno und anderen. In Österreich hatten Burschenschafter und FPÖler schon vor einigen Jahren der Kritischen Theorie ein ganzes Symposium unter dem Titel „Frankfurter Schule – die neunte Todsünde“ gewidmet, auf dem über jene „zersetzende Wirkung“ von Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse referiert wurde, die auch der norwegische Massenmörder beklagt. Eben diese „zersetzende“ Kritik in der Tradition von Adorno ist es, die auch heute die besten Waffen gegen abendländischen Wahn und islamischen Dschihad, gegen linke Islam-Apologeten und rechte Fremdenfeinde bietet.
Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Uni Wien und Mitherausgeber von „Iran im Weltsystem“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2011)