Esther Sterk von der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ berichtet über die schwierige Situation für Kinder im kenianischen Flüchtlingslager Dadaab.
Wien/Dadaab. „Er versuchte zu weinen, aber er konnte nicht. Er war zu schwach. Dann ist er friedlich gestorben“, sagte der somalische Bauer Abdi Aden, dessen achtjähriger Sohn am Weg ins Flüchtlingslager Dadaab ins benachbarte Kenia starb.
Abdis Erzählung beschreibt kein Einzelschicksal: In Dadaab häufen sich Berichte über Eltern, die ihre Kinder am Wegrand zurücklassen mussten. Und auch der Zustand jener Eltern und Kinder, die Dadaab erreichen, ist meist sehr schlecht. Im überfüllten Lager geht ihr Kampf ums Überleben weiter.
Der Anteil an mangelernährten Kindern im größten Flüchtlingslager der Welt ist alarmierend. Würde man im Lager europäische Standards anwenden, dann müsste jedes fünfte der akut unterernährten Kinder sofort auf die Intensivstation. Doch in Dagahaley, einem der drei Lager aus denen Dadaab besteht, sorgt niemand außer der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) für die medizinische Versorgung. In der MSF-Gesundheitsstation werden auch Kinder in akuter Lebensgefahr, die neben Mangelernährung Krankheiten wie Durchfall oder Lungenentzündung haben, stationär behandelt.
„Die Lage ist kritisch“, kommentiert Esther Sterk die Situation. Die niederländische Ärztin, die bereits im Sudan, in Kenia und Äthiopien im Kampf gegen den Hunger im Einsatz war, leitet dort das medizinische Team. „Es ist eine gewaltige Katastrophe: Die Menschen erfahren enorme Hungersnot gepaart mit politischer Instabilität und Unsicherheit.“
Viele der Flüchtlinge berichten von Plünderungen und sexuellen Übergriffen auf dem Weg nach Dadaab, in das sich mittlerweile mehr als 405.000 Menschen geflüchtet haben. 45 Prozent davon sind jünger als zwölf Jahre und 58Prozent sind unter 18.
Essensrationen für die Familie
In Dagahaley versorgen Esther Sterk und ihr Team zurzeit mehr als 7000 Kinder in Programmen gegen Unterernährung. „Auch bei Extremfällen gelingt bei richtiger Behandlung die Genesung“, sagt Sterk. Es dauert vier bis sechs Wochen, bis die Kinder das Schlimmste überstanden haben.
Die Kinder wohnen bei ihren Familien, werden wöchentlich von MSF-Ärzten untersucht und erhalten Spezialnahrung, erklärt Sterk. Zudem bekommen auch ihre Familien Essensrationen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass die unterernährten Kinder auch tatsächlich die Spezialnahrung erhalten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2011)