IWF-Chefin Lagarde: "Gefährliche neue Phase"

IWFChefin Lagarde Gefaehrliche neue
IWFChefin Lagarde Gefaehrliche neue(c) REUTERS (STRINGER/BELGIUM)
  • Drucken

"Wir befinden uns in einer gefährlichen neuen Phase", sagte Christine Lagarde im Hinblick auf die steigenden Risken für die Weltwirtschaft. Sie drängt die Politik zum raschen Handeln.

Washington/Berlin/Wien/Ag./Red. War es ein Zeichen des Vertrauens in ein Anziehen der US-Wirtschaft, als die Wall Street kurz nach der Rede von Fed-Chef Ben Bernanke am Freitagabend ins Plus drehte? Oder war es nur die Hoffnung, dass der Präsident der US-Notenbank im September in sein Waffenarsenal greifen würde? Nach dem Treffen der Notenbanker in Jackson Hole (Wyoming) und dem Telefonat von US-Präsident Barack Obama mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ist klar: „Wir befinden uns in einer gefährlichen neuen Phase“, sagte die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, in Jackson Hole im Hinblick auf die steigenden Risken für die Weltwirtschaft.

Um das zarte Pflänzchen der Erholung – zwei Jahre nach der globalen Finanzkrise – nicht absterben zu lassen, müsse die Politik „sofort handeln“, betonte Lagarde. Das heißt, dass die europäischen Staaten ihre Haushaltsdefizite reduzieren müssen – auch in Formen von gesetzlich verankerten Schuldenbremsen. Zudem forderte Lagarde eine deutliche Rekapitalisierung der europäischen Banken. Die Politiker in den USA wiederum müssten das richtige Gleichgewicht zwischen Schuldenabbau und wachstumsfördernden Maßnahmen finden.

Bei Obama und Merkel rennt Lagarde offene Türen ein: Die Regierungschefs vereinbarten zur Ankurbelung des weltweiten Wirtschaftswachstums ein „abgestimmtes Handeln“ – unter anderem im Rahmen der G20. Dies müsse vor allem durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze erfolgen.

Das Wort Rezession will derzeit aber keiner in den Mund nehmen. Der stellvertretende IWF-Chef John Lipsky sagte, der Fonds sehe nicht die Gefahr einer globalen Rezession. Die gestiegenen Risken reflektierten jedoch einen Mangel an Vertrauen in die Fähigkeit der Politik, der Probleme Herr zu werden.

Sieben magere Jahre

Die drastischen Sparmaßnahmen, die notwendig sind, um die Schulden unter Kontrolle zu bringen, bergen aber auch Gefahren. Der Weltwirtschaft könnten deshalb sieben schwache Jahre bevorstehen, meinte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble beim Nobelpreisträgertreffen am Bodensee. Bis die Haushaltskonsolidierung erste Früchte trage, dürften Jahre vergehen.

Deshalb dringt Schäuble auf eine stärkere Integration Europas. Zwar müssten die Staaten einen Teil ihrer nationalen Souveränität aufgeben, eine gemeinsame Finanzpolitik sei aber für den Euro zwingend notwendig. „In der augenblicklichen Konstruktion kann der Euro nicht verharren“, machte Schäuble klar. Über die von ihm bisher abgelehnten Eurobonds könne erst nach einer Vergemeinschaftung der Finanzpolitik gesprochen werden. Ansonsten würden diese Anleihen nur dazu führen, dass jede Hoffnung auf verlässliche Haushaltsstabilität in Europa zerstört werde.

Für Deutschland gibt sich Schäubles Ressort jedoch zuversichtlich. „2012 dürfte sich der konjunkturelle Aufschwung fortsetzen“, zitiert der „Spiegel“ aus einer Analyse des Finanzministeriums. Als Wachstumsmotor fungiere dabei zunehmend die Inlandsnachfrage, also der private Konsum. Interne Berechnungen sprechen von einem zweiprozentigen Wachstum im kommenden Jahr. Die für heuer angesetzten Zuwachsraten beim BIP von über drei Prozent dürften allerdings angesichts der Entwicklung im Frühsommer zu hoch gegriffen sein.

5,7 Billionen Dollar haben die weltweiten Börsen durch die rasante Kurstalfahrt in den vergangenen vier Wochen an Wert verloren – theoretisch, auf dem Papier natürlich. Viele Experten gehen davon aus, dass die Bodenbildung noch nicht erreicht ist. Die deutsche Kanzlerin Merkel ortet darin einen Erpressungsversuch von Investoren, damit die starken Euroländer den finanziell angeschlagenen Staaten Griechenland, Italien, Spanien und Portugal zu Hilfe kommen. Nachdem die Staaten bereits die Banken gerettet hätten, würden die Finanzmärkte nun verlangen, dass den überschuldeten Staaten unter die Arme gegriffen werde, sagte Merkel. Die Lösung laute jedoch: Druck auf die Staaten zu machen, damit diese ihre Hausaufgaben machen und aus eigener Kraft ihre Schulden abbauen.

Auf einen Blick

Christine Lagarde,die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds, fordert die Politiker zum raschen Handeln auf. Ihrer Meinung nach befindet sich die Weltwirtschaft in einer „gefährlichen neuen Phase“. [Reuters]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Money counter counts 500 Swiss franc banknotes in a Bank in Bern
International

EU-Bankenaufsicht fordert Geldspritzen für Banken

Die Bankenaufsicht EBA fordert laut einem Zeitungsbericht, angeschlagene Geldinstitute direkt mit Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm zu stützen.
Lagarde muss sich Kritik gefallen lassen
International

Banker kontern Lagarde: "Nicht vom Kollaps bedroht"

Die Bundeskreditsparte der WKO kann die Krisenszenarien der IWF-Chefin nicht nachvollziehen. Der Rehn-Sprecher verweist auf die kürzlich durchgeführten Stresstests.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.