Schleinzer: "Kein Film, der die Kaste der Voyeure bedient"

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Schleinzer schildert in seiner ersten Regiearbeit "Michael" den Missbrauch eines im Keller eingesperrten Zehnjährigen. Er betont, der Film sei "absolut unerotisch". "Vermonsterung" der Täter sieht er skeptisch.

Michael, eine ORF-Koproduktion, war heuer der einzige deutschsprachige Beitrag beim Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Am Freitag läuft er in Österreichs Kinos an. Regisseur Markus Schleinzer – der erklärt, dass er nicht vom Fall Kampusch inspiriert worden sei – erzählt darin bewusst aus der Perspektive des Täters. Im Interview erklärt er, wieso.

Die Presse: Österreich, das Land der Keller: Diese Reaktion habe ich häufig von internationalen Kollegen nach der Weltpremiere Ihres Films Michael in Cannes gehört.

Markus Schleinzer: Das ist ja kein Österreich-exklusives Thema. Für die Weltgemeinschaft wäre das natürlich wunderbar. Dann könnte man ein Glashaus über Österreich stülpen und alle Verrückten wären darunter. Aber das gibt's ja auf der ganzen Welt. In Frankreich spricht nur niemand darüber.

In Österreich aber auch nicht.

Wir kommen noch aus einer ziemlich patriarchal geprägten Gesellschaft, die auf Dominanz und Missbrauch aufgebaut ist. Ich wäre als Kind mit jedem mitgegangen. Ich wurde so erzogen, dass Erwachsene Autoritätspersonen sind, denen zu gehorchen ist.

Wie viel Respekt haben Sie vor dem Thema Pädophilie?

Einen Heidenrespekt. Aber es ist eher ein Respekt vor den Menschen, die sich in diesem Thema bewegen. Mir haben am Anfang viele Leute gesagt, dass ich das nicht machen soll, das sei ja ein Tabu. Natürlich ist Kindesmissbrauch ein gesellschaftliches Tabu. Und eines, das seine Berechtigung hat. Aber darüber in einem Kunstmedium wie Film nachzudenken, das kann kein Tabu sein. Das ist ein Witz.

Was viele Leute auf die Palme bringt, ist, dass Sie Michael aus der Täterperspektive erzählen.

Publikumstherapeutische Filme zu diesem Thema zu machen, finde ich obsolet. Wir tun uns einfach leichter, uns mit Opfern auseinander zu setzen. Dann kuscheln wir uns alle unter einer Decke zusammen, sagen „Wie arm!“, und lassen den Hut herum gehen. Aber eine Gesellschaft ist nur so weit entwickelt, wie sie in der Lage ist, sich mit ihren Tätern auseinanderzusetzen.

Wann haben Sie begonnen, mit Hauptdarsteller Michael Fuith über seine Rolle zu sprechen?

Als ich ihn mit meinem Drehbuch konfrontiert habe, war er zuerst sehr ablehnend und hat sich zwei Wochen Bedenkzeit auserbeten. Das hat mich nochmal mehr für ihn eingenommen. Wir haben uns dann ein Jahr vor Drehbeginn immer wieder getroffen und uns dieser Figur angenähert. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass er sich da mir und meinem Kopf ausgeliefert hat.

War es Ihnen wichtig, beim Schreiben des Drehbuchs gewisse Grenzen nicht zu überschreiten?

Es gibt schon Dinge, die ich herausgenommen habe, oder wo ich lange nach einem Weg zur Umsetzung gesucht habe. Im Besonderen bei der Darstellung von Sexualität. Es kam für mich von Anfang an nicht in Frage, irgendeinen sexuellen Akt zu zeigen. Weil das lächerlich ist.

Wieso ist es lächerlich?

Ich wollte auf keinen Fall einen Film machen, der die Kaste der Voyeure bedient. Der Film ist absolut unsinnlich, ist auch nicht erotisch. Das meine ich damit, wenn ich sage, es wäre lächerlich. Es wäre sogar fahrlässig gehandelt, in so einem Film anstößige und obszöne Großaufnahmen zu bieten. Das sind Stilmittel, die ich persönlich als dämlich erachte.

Das erinnert an die Diskussion über Gewaltdarstellung in Medien. Es heißt, gewisse Filme stacheln Menschen an, andere zu verletzen.

Den Pädophilen bieten die Unterhosenseiten des Quelle-Katalogs bessere Reibeflächen als mein unerotischer Film. Der Kindesmissbrauch und dieses Tabu-Geschiss darum hat auch damit zu tun, dass andere Dinge in unserer Gesellschaft schon fast als Kulturgut verankert sind. Wie zum Beispiel Gewalt. Die ist in der Unterhaltung angekommen. Ich habe gestern den ganzen Tag gedreht. Da war auch ein Kind unterwegs, das die ganze Zeit mit einer Krücke auf Leute geschossen hat. Ich habe dann gesagt, dass man das nicht macht. Man schießt nicht auf Menschen. Das war dem Kind nicht klar, denn es macht das den ganzen Tag in seinem Videospiel. Das ist nicht mehr rückgängig zu machen und wir müssen den Umgang damit erst lernen. Da ist es natürlich leicht, gegen so etwas einfach Fassbares wie Pädophile zu wettern.

Das heißt, die Gesellschaft muss Verantwortung übernehmen. Auch Michael hat Nachbarn, und keiner will etwas gesehen oder gehört haben.

Die Diskussion wird ja auch ausschließlich über die Distanzierung geführt. Die Verteufelung und Vermonsterung der Täter in den Medien ist sehr hilfreich, weil sie die Distanz, die man zu diesen Menschen einnehmen kann, maximal dehnt. Die Normalität ist uns heilig und wenn jemand sie mit seiner Abnormalität vergiftet, muss er extrahiert werden. Deshalb haben wir auch so drastische Gedanken bezüglich der Bestrafung. Wir sind eine Mobgesellschaft und freuen uns wahnsinnig darüber, eine zu sein. Es ist ja auch intelligent, uns als eine solche zu erhalten und zu bewahren. Denn der Mob ist leicht steuerbar. Wir werden gefüttert mit U-Bahnzeitungen und Donauinselfesten, und dann sind wir eh schon glücklich.

Zum Regisseur

Markus Schleinzer, geboren 1971in Wien, verbrachte seine Schulzeit u.a. im Internat der Schulbrüder in Strebersdorf. Als Schauspieler trat er etwa in Murnbergers „Ich gelobe“ (1995) und Glawoggers „Slumming“ auf. Seit Ende der Neunziger hat er sich als Casting-Direktor von über 60 Film- und TV-Produktionen bewährt; er arbeitet auch mit Michael Haneke zusammen, der ihm „einen unheimlich klaren Blick“ bescheinigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2011)

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