Wächst der digitale Druck auf das Gedruckte?

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Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ auf meinem iPad verdrängt die ZiB 2 nach hinten, doch einige ausgesuchte Blätter schaffen es sogar ins Bücherregal.

Wann wird die gedruckte Zeitung durch das Angebot im Internet verdrängt? Diese Frage war noch vor 15 Jahren höchst spekulativ, als es Minuten brauchte, um auf einem unhandlichen Computer ein Bild aus dem Netz zu laden. Sie beschäftigt Journalisten ernsthaft, seit auf dem Datenhighway das Breitband herrscht und durch ein immer dichteres Netz von Wireless-LAN Texte jederzeit, überall abgerufen werden können. Die Einführung des iPad im Vorjahr schließlich ließ die gesamte Branche intensiv über Möglichkeiten nachdenken, wie man den Inhalt von Print gewinnbringend auch im neuen Medium umsetzen kann. Mit bisher bescheidenen Ergebnissen. Jene, die in Tablet-PCs die Killer-Applikation für Gedrucktes sahen, waren wieder einmal zu früh dran.

Vielleicht ist die Frage einfach falsch gestellt, so wie einst, als man mutmaßte, dass Fernsehen, VHS, die DVD oder Pay-TV das gute alte Kino rasch verdrängen würden. Die Leinwand gibt es immer noch und sie ist sogar recht erfolgreich. Kein Entweder-oder also zwischen Druck und Netz, sondern eine Differenzierung: Wie wird das Internet mit immer ausgefeilteren und handlicheren Maschinen die Lesegewohnheiten verändern?

Journalisten als berufsbedingte Quer- und Vielleser sind dafür nicht unbedingt repräsentativ, aber vielleicht ist eine konkrete persönliche Betrachtung des Medienkonsums trotzdem aufschlussreich.

Zeitversetzt aus dem Netz fischen

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ war bei mir das erste Computeropfer. Seit sie in ihrer iPad-Version um circa die Hälfte des Preises für die gedruckte Zeitung erhältlich ist, nütze ich dieses Angebot. Das ist wohlgemerkt nicht die bisherige Internetausgabe mit dem verwirrenden Mix an Online-Nachrichten und ausgesuchten Texten aus der Printredaktion, sondern der Inhalt der gesamten gedruckten Zeitung, und zwar nicht beim Frühstück, sondern am Vorabend ab 21.30 Uhr. Kein Rascheln zu später Stunde, kein störendes Licht. Ein weiterer Vorteil: Man kann sich ein Archiv jener Ausgaben anlegen, die bereits heruntergeladen wurden. Ein weiterer Effekt: Die ZiB 2 wird nicht mehr live geschaut, sondern zeitversetzt aus dem Netz gefischt, wenn es gerade passt.

Am Frühstückstisch hingegen wäre für mich ein Tablet-PC undenkbar. Das Frühstück ist, so sagen Zeitungswissenschaftler, die ideale Gelegenheit für „meine“ Zeitung. Ein paar Minuten verbringt man mit dem Boulevard, die Qualitätsleser widmen ihrem Blatt 20 bis 40 Minuten. Mehr Zeit gibt es für Zeitungen nur noch in Kaffeehäusern. Großes Frühstück: Wien ist hierfür eine Insel der Seligen. Zwei bis drei Dutzend Tageszeitungen und Wochenblätter führen die besseren Cafés, und immer auch die Weltblätter. Das ist die bessere Alternative zum PC – man ist nicht im Internet, und doch irgendwie vernetzt mit gescheiten Lesern.

Was aber macht eine gute Zeitung aus? Noch etwas Persönliches: Für mich ist „The International Herald Tribune“ die ideale Zeitung. „No nonsense“ auf zwei Dutzend großen Seiten. Man findet sich leicht zurecht und wird trotzdem überrascht, aus der Tagesaktualität wird souverän das Wesentliche extrahiert, die Meinungsseiten zeigen Pluralismus. Das möchte man gedruckt haben, auch wenn viele der Geschichten im Internet bei der „New York Times“ früher zu lesen sind. Das Entscheidende ist die Auswahl. Eine Schätzung: 30 Minuten konzentrierte Lektüre der „IHT“ entsprechen zwei mühsamen Stunden im Netz, in dem auch noch ständig die Gefahr der Ablenkung droht. Einmal beim „Perlentaucher“ gelandet und das Neueste aus den Feuilletons gemustert, schon ist man eine Stunde später in einen Chat bei salon.com verwickelt oder verfolgt die Posting-Fehden auf nachtkritik.de.

Was aber ist der Lesestoff, der auf jeden Fall gedruckt bleiben muss? „The Economist“? Für ihn gilt auch: Wissen in prägnanter Form. Manchmal aber wird er in Wien partout nicht ausgeliefert am Freitag, kommt also erst am Montag. Solche Verzögerungen wären bei einer Tageszeitung tödlich und sind auch den meisten Wochenzeitungen abträglich. Mit Ausnahmen. Und da ist jetzt von jenen Printprodukten die Rede, die man auf dem Schreibtisch stapelt, weil sie zu kostbar sind, um überhastet entsorgt zu werden. Das „Spectrum“ ist solch ein Sammelobjekt, die „New York Review of Books“ und auch das „Times Literary Supplement“. Letzteres bietet mehr als 2000 ausführliche Buchbesprechungen pro Jahr, und fast so lange liegen die Ausgaben auch bereit, ehe sie von mir entsorgt werden.

Einige Blätter aber schaffen es sogar ins Bücherregal: das Monatsheft „Merkur. Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken“, Quartalshefte wie die „Zeitschrift für Ideengeschichte“, „Lettre“ oder die Grazer „manuskripte“. Wie rechnen sich die? Wie überleben sie? Und warum führt sie kaum eines der angeblich kultivieren Cafés? Nein, solche Schriften wirft man nicht weg. Man verbrennt auch keine Bücher. Erschienen sie nur online, man müsste sie sich glatt ausdrucken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2011)

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