Griechenlands Verschuldung „außer Kontrolle“

(c) AP (Petros Giannakouris)
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Die Situation in Griechenland wird immer dramatischer. Einem Expertenbericht zufolge ist die Athener Regierung mit ihrer Finanzpolitik gescheitert. Die "Troika"-Kontrolleure sind abgereist.

Wien/Höll. Griechenland bekommt seine Probleme nicht in den Griff. Die Verschuldung sei außer Kontrolle geraten, heißt es in einem am Donnerstag bekannt gewordenen Bericht einer vom Athener Parlament eingesetzten unabhängigen Expertenkommission. Die Politik zur Wiederherstellung der Finanzen sei gescheitert. Trotz aller Sparbemühungen würde sich das Defizit weiter vergrößern. Die Zunahme der Schulden und die Rezession hätten die Entwicklung „zum Äußersten getrieben“, so der Bericht. Die positiven Auswirkungen des beim Euro-Sondergipfels im Juli vereinbarten zweiten Rettungspakets in der Höhe von bis zu 150 Milliarden Euro würden dadurch wahrscheinlich „zum großen Teil“ zunichte gemacht.

Dem Bericht zufolge dürfte die Neuverschuldung im laufenden Jahr auf über 8,5 Prozent des BIPs steigen. Die Athener Regierung war ursprünglich von 7,6 Prozent ausgegangen. Das Land droht damit erneut, die mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarten Vorgaben zu verfehlen. Begründet wird dies mit Schwierigkeiten bei der Steuereintreibung. Zudem soll das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr voraussichtlich um mehr als 4,5Prozent schrumpfen. Die Expertenkommission kritisiert, dass die Athener Regierung noch immer nicht mit dem angekündigten Verkauf von Staatsfirmen und Immobilien begonnen hat. Auch bei der Umsetzung des Sparprogramms kommt es zu Verzögerungen – vor allem in jenen Bereichen, in denen der Protest der Gewerkschaften sehr stark ist. Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos versuchte am Donnerstag zu beruhigen: Die vom Parlament eingesetzte Kommission sei nicht erfahren genug, um die Situation zu beurteilen. Die Prüfer der EU, des IWF und der EZB würden laut Venizelos zu einer positiveren Einschätzung kommen.

Athen plant neue Steuererhöhungen

Faktum ist, dass Griechenland auf einem Schuldenberg von 350 Mrd. Euro sitzt. In den ersten sieben Monaten 2011 sind die Staatseinnahmen um 1,9 Mrd. Euro gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Die Ausgaben kletterten gleichzeitig um 2,7 Mrd. Euro. Die Athener Regierung kündigte nun an, die Mehrwertsteuer für Hotels und Restaurants um zehn Prozentpunkte auf 23 Prozent zu erhöhen.

Der Bericht der Expertenkommission kommt zu einem schlechten Zeitpunkt. Im September wird in vielen europäischen Parlamenten über den Euro-Rettungsschirm EFSF abgestimmt, der Anleihen von schwer angeschlagenen Ländern aufkaufen soll. In Finnland, den Niederlanden und in der Slowakei regt sich dagegen Widerstand. In Deutschland fordern die Abgeordneten mehr Mitspracherechte bei der Vergabe von EFSF-Gelder. Dies lehnt Berlins Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ab. Denn der Rettungsfonds müsse „handlungsfähig“ sein, um schnell auf Entwicklungen an den Finanzmärkten reagieren zu können. In Österreich sind dagegen keine Probleme zu erwarten. SPÖ und ÖVP werden dem EFSF zustimmen.

Brauchen Europas Banken 200 Mrd. Euro?

Die Schuldenkrise führt mittlerweile auch zu einem Streit zwischen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der europäischen Bankenaufsicht. Schätzungen des IWF zufolge brauchen Europas Finanzkonzerne bis zu 200 Mrd. Euro zusätzliches Kapital, wenn sie ihre Anleihen aus den Krisenländern zu Marktpreisen bewerten würden. Die europäische Bankenaufsicht und mehrere Politiker bestreiten dies. „Die IWF-Einschätzung ist verfälscht“, sagte Spaniens Finanzministerin Elena Salgado. Sie verweist auf den im Juli durchgeführten Bankenstresstest, bei dem ein Kapitalbedarf von 2,5 Mrd. Euro errechnet wurde. Bei diesem Test mussten Staatsanleihen aber nur zu einem kleinen Teil abgewertet werden.

Laut den neuen Eigenkapitalvorschriften („Basel III“) brauchen die Banken auch künftig Staatsanleihen von Euroländern mit null Eigenkapital unterlegen. Eine ähnliche Regelung soll es auch für Versicherungen geben. Ab dem Jahr 2013 müssen Lebensversicherungen für Euro-Staatsanleihen kein teures Eigenkapital vorhalten. Für Aktien und Immobilien werden die Richtlinien aber verschärft. Experten vermuten dahinter eine Taktik. Die Renditen von sicheren Staatsanleihen (wie Deutschland und Österreich) liegen deutlich unter der Inflationsrate. Damit ergeben sich für Sparer derzeit negative Realzinsen. Die Staaten entschuldigen sich damit günstig auf Kosten ihrer Gläubiger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2011)

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