Schüssel: Ein konservativer Revolutionär

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Wolfgang Schüssel hat Österreich geprägt. Er wollte gestalten und tat das auch. Er führte Politiker an den Trog der Macht, die seinen Ruf beschädig(t)en. Und auch er selbst hat sich im Laufe der Zeit verändert.

Wien. Es gibt nur eine Handvoll Politiker, die Österreich geprägt haben. Staatsvertragskanzler Julius Raab gehört dazu, sein Vorgänger Leopold Figl, der ÖVP-Reformkanzler Josef Klaus, der SPÖ-Reformkanzler Bruno Kreisky natürlich, und auch Jörg Haider – obgleich er es nie in eine Regierungsfunktion auf Bundesebene geschafft hat.

Auch Wolfgang Schüssel gehört in diese Riege: Nicht nur, weil er sieben Jahre lang als Kanzler die Geschicke des Landes lenkte. Sondern weil er Politik als gestalterische Aufgabe auffasste. Weil er das Land verändern wollte – und damit teilweise erfolgreich war.

Die Wahlergebnisse lassen darauf nicht unbedingt schließen. Viermal ist Wolfgang Schüssel als ÖVP-Chef bei einer Wahl angetreten. Dreimal hatte er empfindliche Niederlagen hinnehmen müssen. 1995, gerade erst Parteichef geworden, hatte Schüssel Neuwahlen vom Zaun gebrochen – und diese postwendend verloren. Die Zeit als Vizekanzler unter Franz Vranitzky und später Viktor Klima taten weder ihm noch der ÖVP gut. Die Partei schlitterte 1999 in ein historisches Debakel und war plötzlich nur noch die Nummer drei.

Und auch die letzte Wahl endete bitter: Schüssel verlor als amtierender Bundeskanzler die Position als Nummer eins und damit den Posten des Regierungschefs. Nur 2002, kurz nach der Selbstzerstörung der FPÖ in Knittelfeld, konnte Schüssel einen Wahlsieg einfahren. Dies war dann allerdings ein Triumph: 42 Prozent, plus 15,4 Prozentpunkte.

Die Stärke des Wolfgang Schüssel waren aber nicht die Wahlsiege, sondern die Koalitionsverhandlungen danach. Schon 1995 schaffte er es, dem Regierungsprogramm einen ÖVP-Stempel aufzudrücken. 1999 folgte die taktische Meisterleistung: Der Wahlverlierer Schüssel trickste so lange herum, bis er von einem widerwilligen Bundespräsidenten Thomas Klestil zum Bundeskanzler angelobt werden musste. Vergessen war die Festlegung, er werde als Nummer drei in Opposition gehen, in Kauf genommen wurden die Sanktionen der EU. Und auch bei seinen letzten Koalitionsverhandlungen 2006/2007 spielte er nochmals seine Qualitäten aus: Wahlsieger Alfred Gusenbauer konnte außer seinem Sandkistentraum, dem Bundeskanzleramt, praktisch nichts aus seinem Programm umsetzen – womit die Grundlage für sein späteres Scheitern bereits gelegt war.

Was bleibt von der Regierung Schüssel? Zum einen, die FPÖ regierungsfähig gemacht und das Monopol der großen Koalition als einzig möglicher Regierungsform durchbrochen zu haben. Wolfgang Schüssel am Beifahrersitz in Jörg Haiders Porsche – dieses Bild ist im kollektiven Gedächtnis der Österreicher haften geblieben. Die Prophezeiungen aus der damaligen Zeit haben sich aber allesamt nicht erfüllt: Österreich ist nicht an den rechten Rand Europas gerückt, dort befinden sich heute ganz andere Länder. Die damaligen EU-Sanktionen wirken aus dem Blickwinkel geradezu grotesk überzeichnet. Aber das Dritte Lager konnte mit dem Regierungseintritt auch nicht „gezähmt“ werden, es ist heute – nach einigen Turbulenzen und in anderer personeller Besetzung – fast wieder genauso stark wie vor dem Jahr 2000.

Zum anderen werden die Reformen der Ära Schüssel bleiben. Da war ein Bundeskanzler in Aktion, der nicht ängstlich auf die Schlagzeilen in den Boulevardmedien schielte und auch nicht auf die Umfragewerte, sondern das tat, was er für notwendig und richtig hielt: Eine Pensionsreform, die langfristig die Kosten für den Ruhestand einbremste. Der Verkauf von Staatseigentum. Oder familienpolitische Reformen wie die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes.

Es war keine „neoliberale“ Reformpolitik, auch wenn ihm dies oft unterstellt wurde, sondern der Versuch, Strukturen aufzubrechen. Wenn man ihm einen Vorwurf machen kann, dann den, oft auf halbem Weg stehen geblieben zu sein. So wie mit der „Hacklerregelung“, die eine neue Schiene der Frühpension aufmachte und die Bemühungen aus der Pensionsreform zu einem guten Teil wieder zunichte machte. Oder beim Budget: Das „Nulldefizit“ war letztlich nicht mehr als ein PR-Gag seines Finanzministers Karl-Heinz Grasser. Eine nachhaltige Sanierung des Budgets sieht anders aus.

Ganz altruistisch waren die Reformbemühungen natürlich nicht: Schüssel hat sich besonders der roten Bastionen angenommen. Die Hausmeister wurden abgeschafft, den Bundesbahnen eine neue Führung und Struktur verpasst. Aber die Macht der Kammern ließ der frühere Wirtschaftsbund-Generalsekretär unangetastet. Aber da hätte sich Schüssel wohl auch in seiner erfolgreichsten Zeit schwer getan, Einschnitte bei den Interessensorganisationen innerparteilich durchzusetzen.

Schüssels Metamorphose

Auch Wolfgang Schüssel selbst hat sich im Laufe der Jahre verändert. Aus dem poppigen, umgänglichen Wirtschaftsminister, der nicht nur „mehr privat, weniger Staat“ propagierte, sondern auch Kinderbücher zeichnete, war aufgrund zahlreicher Enttäuschungen mit (Ex-)Koalitionspartnern und Medienleuten ein ernster, mitunter ungeduldiger und besserwisserischer Regierungschef geworden. Eines ist Schüssel aber zeit seines Lebens geblieben: bescheiden. Dies zeigt sich auch in seiner Lebensführung. Den einzigen Luxus, den er sich zu leisten scheint, ist ein VW-Käfer-Cabrio, mit dem er noch heute durch die Stadt kurvt.

Deshalb fällt es auch schwer zu glauben, dass dieser, von den Benediktinern im Schottengymnasium – der Bub aus bescheidenen Verhältnissen schaffte es dank seiner Tante auf die Eliteschule – beeinflusste spätere Kanzler sich während seiner Regentschaft bereichert oder dies geduldet hätte. Er selbst weist dies auch strikt zurück. Es gilt die Unschuldsvermutung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2011)

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