Zentralbank war die Privatbank der Gaddafis

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Getreue des libyschen Machthabers dürften große Summen außer Landes geschafft haben. Wenn die Gaddafis während der Revolution Bargeld brauchten, schickten sie einfach Soldaten zur Zentralbank.

Tripolis. Die Zentrale der Sahara Bank liegt in einer kleinen Seitenstraße im Zentrum der libyschen Hauptstadt Tripolis. Nicht weit von der Allee des 1. September, die an den Tag erinnert, an dem Muammar al-Gaddafi durch einen Putsch gegen König Idris I. an die Macht kam. Für eine der fünf größten Geldinstitute Libyens, mit insgesamt 50 Filialen und 1600 Mitarbeitern, ist das Gebäude der Sahara Bank eher schmucklos. Eine heruntergekommene Steinfassade in Türkis. Selbst das Büro des Generalmanagers hat nichts vom Glanz westlicher Führungsetagen.

Abdelrasek al-Hamdi ist bester Laune: „Für mich hat die Welt neu begonnen. Ich arbeite in der Bank schon seit 26 Jahren. Aber für mich hat mein Job erst vor sechs Monaten, als die Revolution begann, einen neuen Sinn bekommen.“ Er setzt ein schelmisches Lächeln auf. Al-Hamdi trägt weder Anzug noch Krawatte wie Kollegen in vergleichbaren Positionen. Sein Hemd und die Hose haben deutlich Bügelspuren und sichtlich bessere Zeiten gesehen.

Im Lauf der Revolution hoben die Kunden der Sahara Bank insgesamt 200 Millionen Dinar (100 Millionen Euro) ab. „In Prinzip nicht viel Geld“, erklärt al-Hamdi. „Aber man muss bedenken, dass alle ausländischen Firmen abgezogen waren und auch das Geschäft der libyschen Firmen stillstand.“

Nach den ersten Unruhen in Tripolis vom 17. Februar limitierte das Regime Auszahlungen auf 500 Euro, um zu verhindern, dass die libyschen Banken ihre kompletten Bargeldreserven verlieren. Im März wurde der Höchstbetrag auf 1000 Euro hinaufgesetzt. „Wir waren nicht gefährdet“, meint al-Hamdi. „In unseren Tresoren liegen immer noch 7,5 Millionen Euro. Und jetzt gibt es wieder Einnahmen: Die Sicherheitslage ist stabil und alle Geschäfte haben geöffnet.“ Zudem kommen die Mitarbeiter ausländischer Firmen zurück, die vor dem Krieg geflohen sind. „Wie wir von der neuen Regierung wissen, werden diese Unternehmen ihre angefangenen Projekte beenden. Erst dann handelt man neue Verträge aus.“

„Gaddafi brauchte kein Konto“

Auf die Frage, ob Mitglieder der Gaddafi-Familie in seinem Institut Konten hatten, schmunzelt er zuerst süffisant, bevor er antwortet. Dann sagt er: „Bei uns gibt es keine Konten vom Regime oder dessen Vertretern. Was die Gaddafis betrifft, die hatten doch ihr ganzes Geld im Ausland. Und in Libyen hatten sie kein Konto nötig.“

Im ersten Moment ist das schwer vorstellbar. Selbst die Gaddafis brauchten Bargeld und das nicht zu knapp. Der 200 Fahrzeuge starke Konvoi der Gaddafi-Getreuen, der sich vor wenigen Tagen in Libyens südliches Nachbarland Niger abgesetzt hat, transportierte auch Gold und hohe Geldsummen. Das berichteten zumindest Vertreter des Übergangsrates, der nun die Macht in Libyen übernommen hat. Und der Übergangsrat vermutet, dass auch Gaddafi selbst über die Grenze nach Süden zu gelangen versucht.

Auch als der Gaddafi-Clan noch an der Macht war, benötigte er Geld. Die Familie war für einen ausschweifenden Lebensstil berüchtigt. Von zwei der insgesamt acht Söhnen des Diktators – Saadi, der Fußballspieler, und Muatassim, der Playboy – ist bekannt, dass sie jeden Monat bis zu 1,5 Millionen Dollar ausgaben. Woher kam also das Bargeld?

Auf Formalitäten verzichtet

„Eine ganz einfache Geschichte“, beginnt al-Hamdi zu erläutern. „Sie holten es sich aus der Zentralbank in Tripolis.“ Das konnten 100 oder 200 Millionen Euro sein. „So viel sie eben brauchten.“ Die einzige Formalität, die dabei zu erfüllen war: eine Genehmigung vom Finanzministerium. „Das konnte man auch über Handy bekommen“, erläutert al-Hamdi. „Ein Anruf genügte.“ Während des Krieges habe man auf diesen kleinen Behördenweg ganz verzichtet. „Da schickte man die Armee. Kalaschnikow im Anschlag, das öffnete die Türen problemlos.“ Beinahe täglich seien in diesen Kriegsmonaten Unsummen weggefahren worden, sagt der Direktor der Sahara Bank.

Die Zentralbank liegt hinter dem Grünen Platz an der Corniche. Es ist ein altes mondänes Gebäude aus der Kolonialzeit, mit zwei Türmen links und rechts. Standesgemäß für die Nationalbank eines Landes. Obwohl ein normaler Wochentag ist, wird dort nicht gearbeitet. „Das Eid el Fitr, das dreitägige Fest nach Ende des Ramadans, wird ein bisschen ausgedehnt“, sagt Cheiri Ben Otman lachend. Er ist zwar schon pensioniert, wollte aber mal auf einen Sprung vorbeischauen. „Ich bin am 1. Jänner, einen Monat vor der Revolution, in Pension gegangen“, erzählt der ehemalige Angestellte der Zentralbank. „Zum richtigen Zeitpunkt“, wie er feststellt. Über die Gaddafis könne er nichts erzählen. Da müsse man den Direktor fragen.

Am nächsten Tag ist Mohammed Choukri in seinem Büro. „Es dauert nur einen Moment, bis der Direktor Zeit hat“, teilt die Sekretärin über Haustelefon mit. Der Portier in blauer Arbeitsuniform deutet auf durchgesessene, alte, schwarze Plastikstühle, die so gar nicht zur weitläufigen Eingangshalle und den hohen Säulen passen. Man lehnt dankend ab, nimmt aber das Angebot nach 20 Minuten gern an. Arbeiter tragen nacheinander mehrere große Gaddafi-Bilder vorbei, die sie anscheinend im Bankgebäude abmontiert haben.

Es dauert über eine Stunde, bis sich die Sekretärin wieder meldet: „Herr Choukri kann den vereinbarten Termin leider nicht einhalten.“ Kurz entschlossen geht es die Marmortreppe in den ersten Stock hoch. Richtung Büro des Direktors der libyschen Zentralbank. „Warten Sie“, ruft die Sekretärin und versichert erneut: Jetzt habe ihr Chef gleich Zeit. Stattdessen erscheint nach einer weiteren Stunde Wartezeit Manzin Ramadan. Er ist der Chefberater von Ali Tarhuni, dem stellvertretenden Premierminister des libyschen Nationalen Übergangsrats (NTC).

Der Bankdirektor hat keine Zeit

Haben die Gaddafis, mit der Kalaschnikow im Anschlag, Geld aus der Zentralbank abholen lassen? „Das würde mich ganz und gar nicht überraschen“, meint Ramadan, mit einem dieser neuen Tabelts in der Hand, die dem IPad nachempfunden sind. „Ich weiß ehrlich gesagt nichts darüber. Aber ich bin sicher, wir werden auf den Grund der ganzen Sache kommen.“ Klingt nicht überzeugend. Wenn er das wirklich wollte, müsste er nur Mohammed Choukri, den Direktor, fragen. Aber nun hat er es eilig. Bevor er davonhastet, betont er, man habe andere Prioritäten. „Uns interessiert in erster Linie, wie viel Geld Gaddafi auf ausländischen Banken hatte.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2011)

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