Verschwörungstheorien. Jeder kann die Anschläge durchgeführt haben – CIA, Militär, Rüstungsindustrie –, nur 19 Personen sicher nicht: die arabischen Attentäter. Die wirre Welt der Verschwörer.
[WIEN] Unbestritten ist: Am 11. September 2001 stürzten die Gebäude eins, zwei und sieben des World Trade Centers (WTC) in New York ein, in Washington brannte das Pentagon und im US-Bundesstaat Pennsylvania untersuchten Behörden ein Loch im Boden. Über alles andere gibt es heftige Diskussionen.
Warum brachen die Türme ein? Was schlug ins Pentagon ein? Was stürzte in Pennsylvania ab? Und vor allem: Wer hat die Anschläge durchgeführt? Die CIA, das Militär, die Rüstungsindustrie? Jeder kann es gewesen sein, nur eine Gruppe von Personen war es sicher nicht: die 19 Araber, die die Behörden als Attentäter identifizierten.
Wie bei jedem weltgeschichtlichen Ereignis gibt es auch bei den Anschlägen vom 11. September 2001 wilde Spekulationen über die „wahren“ Hintergründe. Im Gegensatz zu vielen anderen Verschwörungstherorien – etwa jener um die vorgetäuschte Mondlandung – hatten jene um 9/11 ein hervorragendes Trägermedium: das Internet. Aus der Theorie, die sich eine einzelne Person in ihrem Kellerzimmer ausdachte, wurde mithilfe eines weltumspannenden Netzes von selbsternannten Experten ein Faktum.
Es ist wie beim Attentat auf John F. Kennedy: Man will nicht glauben, dass hinter solch weltverändernden Ereignissen simpler Hass oder blinder Wahn stecken. Die Menschen hegen den insgeheimen Wunsch nach machtvollen Hintermännern mit raffinierten Plänen. Und diesem Wunsch kommen zahlreiche Bücher, Dokumentarfilme und Dutzende Internetforen nach, auch wenn die Verschwörungstheorien wiederholt wissenschaftlich widerlegt wurden.
Die gängigsten Theorien lauten: Die Türme des WTC wurden gesprengt; nicht ein Flugzeug, sondern eine Rakete schlug ins Pentagon ein; Flug UA 93 stürzte nicht ab, sondern wurde abgeschossen.
Die Hintermänner der Anschläge: Geheimdienste, Militär und Rüstungsindustrie, die nach dem Ende des Kalten Krieges um Geld, Macht und Existenz zitterten; Freunde von George W. Bush, die die Vormachtstellung der USA wieder herstellen wollten – und irgendwo spielt immer auch Israel und der Mossad mit.
Rakete statt Flugzeug
Zu den verschiedenen Theorien, etwa jener der Sprengung: Dass die beiden Türme 56 bzw. 103 Minuten nach dem Einschlag der Flugzeuge einstürzten, sei unmöglich, sagen die Verschwörer. Andere Hochhäuser dieser Welt hätten länger gebrannt, ohne derartige Folgen. Zudem seien die Türme in Fallgeschwindigkeit eingestürzt: 110 Stockwerke in 15 Sekunden. Wäre eine Etage, wie behauptet, auf die andere gefallen, hätte es viel länger gedauert.
Mehrere Universitäten untersuchten den Einsturz. Demnach destabilisierte die Hitze des Feuers den Stahlkäfig des Hochhauses, die Tragkraft halbierte sich, die Türme fielen in sich zusammen. Eine Sprengung hätte nicht nur eines enormen logistischen Aufwands bedurft (wochenlange Vorbereitungen), es fanden sich in den Trümmern auch keinerlei Beweise, etwa Überreste von Sprengkabeln, von denen man hunderte Meter verlegen hätte müssen.
Die Rakete, die nach den Theorien statt eines Flugzeugs das Pentagon getroffen haben soll, ändert wenig am Ergebnis: So oder so wurde das US-Verteidigungsministerium schwer beschädigt. Zwar gibt es tatsächlich keine Fotos, Augenzeugen sahen aber ein Flugzeug. Zudem lagen in der Einflugschneise auf einer Breite von Dutzenden Metern Laternenpfähle, die nur von den Flügeln eines Flugzeuges gekappt werden konnten. Eine Rakete hätte zickzack fliegen müssen. Und was, falls es eine Rakete war, passierte mit den 64 Passagieren? Die ließ die Regierung nach den Theorien ebenso verschwinden wie jene von Flug 93.
Der stürzte nämlich nicht nach einem heroischen Kampf der Passagiere über Pennsylvania ab, sondern wurde – je nach Theorie – abgeschossen oder fand nie statt. Es gebe nämlich keine Überreste eines Flugzeugs. Dass das regelrecht pulverisiert wurde, als es mit 900 km/h in den Boden einschlug, schließen die einen Theoretiker aus. Die anderen sagen: Die Regierung habe ein Loch gesprengt und Trümmer samt Leichen beider Flüge aus einer Transportmaschine abgeworfen.
Etwas, das – neben allen wissenschaftlichen Gegenbeweisen – eine Verschwörung unwahrscheinlich erscheinen lässt, ist die reine Zahl der Involvierten: Hunderte Menschen hätten von den Hintergründen wissen müssen. Und die Empirik lehrt: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geheimnis gelüftet wird, steigt mit dem Quadrat der involvierten Personen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2011)