Die Zwillingstürme als Doppelsymbol

(c) AP
  • Drucken

Terror. Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen den politischen Umwälzungen und den ökonomischen Verwerfungen des vergangenen Jahrzehnts. Die Reaktion auf 9/11 hat diese Entwicklung verstärkt.

Gibt es singuläre Ereignisse, die die Welt verändern? Kann man Entwicklungen, die sich irgendwann als profunder Paradigmenwechsel herausstellen, auf einzelne Ereignisse zurückführen? Die Skepsis, die Christian Ultsch an der These äußert, dass der 11. September 2011 die Welt veränderte, hat gute Gründe: Die Bewertung eines Ereignisses ergibt erst unter Einbeziehungen der Reaktionen darauf einen Sinn. Und die Reaktionen folgen keiner zwingenden Logik, die das Ereignis selbst bereithalten würde.


Zugleich wird man aber sagen müssen, dass die Symbolkraft eines Ereignisses bis zu einem gewissen Grad auch die Reaktionen determiniert. Die Terrorattacke am 11. September wurde von Beginn an als Doppelsymbol gelesen. Man sprach in politischer Perspektive von einem „Angriff auf den Westen“, zugleich erklärte etwa der deutsche Dramatiker Botho Strauß, dass die Terroristen mit der Zerstörung der beiden Türme des World Trade Centers „die Schwurfinger des Kapitalismus abgehackt“ hätten. Das legt nahe, dass es zwischen den politischen Umwälzungen des vergangenen Jahrzehnts und den ökonomischen Verwerfungen, die derselbe Zeitraum mit sich gebracht hat, einen inneren Zusammenhang gibt, der unmittelbar mit dem Ereignis selbst zu tun hat.


Es greift zu kurz, den ökonomischen Schock, den der 11. September ausgelöst hat, und die Bekämpfung dieses Schocks durch eine Geldschwemme seitens der US-Notenbank als Ursache für die große Blase zu sehen, die 2008 geplatzt ist und das globale Finanzsystem an den Abgrund geführt hat. Aber die Reaktion auf 9/11 hat eine Entwicklung massiv verstärkt, die in den 90er-Jahren eingesetzt hat. Sie ist gekennzeichnet durch eine Kombination aus Deregulierung, billigem Geld und einem politischen Programm, das Eigenheimkredite auch für nicht kreditwürdige Bürger für eine Frage der Gerechtigkeit und des US-Selbstverständnisses gehalten hat. Sowohl die politische als auch die ökonomische Selbstverständniskrise des Westens unter Führung der USA, von der die Welt nach dem 11. September 2001 geprägt ist, hat mit „overstretch“, mit Überdehnung zu tun. Das Überdehnungs-Bild, das wir aus der historischen Analyse von Imperien kennen, taugt auch zur Beschreibung der Entwicklung ökonomischer Prozesse: Wenn die Entwicklung der realwirtschaftlichen Substanz mit der kreditfinanzierten Ausdehnung nicht mehr Schritt halten kann, gerät das System in Gefahr, ob es sich nun um ein Unternehmen handelt oder um einen Staat.


In solchen Situationen tauchen an den Rändern der alten Herrschaftsgebiete gefährliche Gegner auf. Auf der einen Seite Terrororganisationen und „Failed States“, auf der anderen Seite Staaten wie China, die ihre wirtschaftliche Dynamik ohne die Restriktionen demokratisch-pluralistischer Ordnungen entfalten können.
Möglich, dass diese Überdehnungsphänomene auch ohne den 11. September 2001 im selben Zeitraum und im selben Ausmaß zutage getreten wären. An der Symbolkraft der Anschläge wird das nichts ändern.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Leitartikel

Der 11. September hat die Welt nicht verändert

In den vergangenen zehn Jahren gab es kein einprägsameres Ereignis als 9/11. Doch umwälzend waren andere Entwicklungen, die rein gar nichts mit Terror zu tun haben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.