Saisonauftakt im Volkstheater: Andrea Eckert brilliert in "Du bleibst bei mir", einer Uraufführung von Felix Mitterer. Michael Sturmingers Inszenierung überzeugt nur phasenweise.
Eine exzellente Idee war es, einer der wichtigsten und mutigsten Schauspielerinnen des Wiener Volkstheaters ein Denkmal zu setzen: Dorothea Neff (1903-1986) hat hier große Rollen gespielt – und sie war eine Institution des Widerstands gegen die Nationalsozialisten: Von 1941 bis 1945 versteckte Neff ihre jüdische Freundin Lilli Wolff in ihrer Wohnung in der Annagasse und rettete der Kostümbildnerin und Modeschöpferin das Leben. Lilli erholte sich dennoch nie mehr von der Tortur des Eingesperrtseins. Die Schatten der grausigen Vergangenheit verfolgten sie bis nach Amerika: Dorthin wanderte sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus.
Rundes Ensemble. Andrea Eckert, die Neffs Schülerin war, kehrt in der Rolle ihrer Lehrerin ans Volkstheater zurück, wo sie in der Ära Emmy Werners klassische Heldinnen gespielt hat, von Maria Stuart bis Penthesilea. Mit der Penthesilea – im Pathos der alten Zeit richtig deklamiert von Eckert – beginnt auch das Auftragswerk des Volkstheaters, das Felix Mitterer schrieb: „Du bleibst bei mir“ gibt Einblick in das Leben Neffs von der Kriegszeit bis zur Erblindung, als sie immer noch große Rollen spielte – wie Brechts „Mutter Courage“, mit der das Volkstheater den Brecht-Boykott in Wien brach.
Eckert ist als Neff nuancenreich und wunderbar. Sie verströmt Wärme, Herzlichkeit, zeigt aber auch die belastende Seite der Situation. Neff muss Texte lernen, auftreten. Lilli mag nicht allein bleiben, wird krank, muss operiert werden, erholt sich nur schwer. Martina Stilp lässt die Verwandlung dieser hübschen, lebensfrohen Frau sehen, die sich immer auf ihre Wirkung verlassen hat und nur langsam den Ernst der Lage begreift. Annette Isabella Holzmann spielt Lillis Nachfolgerin bei Neff, die Schauspielerin Eva Zilcher. Sie betreute die Künstlerin bis zu ihrem Tod und hielt die Verzweifelte vom Selbstmord ab. Inge Maux verströmt lauernde Bedrohung als erpresserische Hausmeisterin. Claudia Sabitzer und Nanette Waidmann als Meta und Mati erinnern Lilli an ihre glückliche Vergangenheit im Modesalon.
Berührendes Kammerspiel. Die Männer haben eine untergeordnete Position in diesem Frauenstück: Robert Prinzler gibt den Medizinstudenten Erwin Ringel (1921-1994), der als Psychiater eine Institution war und „die österreichische Seele“ nicht nur in Buchform analysierte. Thomas Bauer als SS-Sturmführer und Rainer Frieb als russischer Offizier setzen in kurzen Auftritten markante Akzente. Eine Musikcollage mit Jazz und Melodien der damaligen Zeit („Davon geht die Welt nicht unter“) begleitet den Abend.
Ist es überhaupt angebracht bei einer solchen Produktion kritische Anmerkungen zu machen? Dies ist keines jener verkrampft pädagogischen Unternehmen (Schultheater!) wie man sie oft über die NS-Zeit sieht. Da ist nichts peinlich (Demonstration des Bösen an sich) oder besserwisserisch (kann uns nicht passieren). Mitterer ist ein Humanist und Psychologe. Er hat einen Hang zum Melodram – den Regisseur Michael Sturminger sichtlich bestrebt war, zu dämpfen, manchmal zum Vorteil, manchmal auch zum Nachteil der Aufführung, die gelegentlich schleppt. Dies hätte ein feiner Film oder ein spannendes Fernsehspiel werden können. Ralph Zegers Bühnenbild – eine Bühne auf der Bühne – dreht sich, schwebt und sorgt für Bewegung, von der es in diesem Kammerspiel wenig gibt. Die Idee ist das Klaustrophobische der Situation plastisch zu machen. Das gelingt nur sehr bedingt.
Zwei Herren beschäftigen sich hier mit Frauenliebe. Das funktioniert nicht. Ob die Diskretion waltet wegen der Abonnenten – die man für altmodischer hält als sie sind – oder ob Mitterer wie Sturminger – auch den Darstellerinnen bis auf Sabitzer – das Thema fremd blieb? Man weiß es nicht.
Zickenkrieg statt Leidenschaft. 1998 drehte Max Färberböck „Aimée und Jaguar“ nach einem Roman von Erica Fischer. Die Liebesgeschichte zweier Frauen im Dritten Reich war verglichen mit „Du bleibst bei mir“ ein Feuerwerk an Facetten. Es ist nicht nötig am Theater zu deutlich zu werden, aber irgendeine Aura von Authentizität muss sein. Mitterer hat, wie man beim Lesen des Textes bemerkt, Ideen entwickelt. Aber Sturminger konnte damit nichts Rechtes anfangen. Dadurch blieb ein zentraler Aspekt dieser Freundschafts- und Liebesgeschichte unberücksichtigt. Sie schildert die Zeit, dümpelt aber emotional phasenweise im Zickenkrieg. Das ist zu wenig.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2011)