Israel im Panikraum

Der Arabische Frühling entpuppt sich als äußerst unangenehme Jahreszeit für Israel. Ägypten und auch die Türkei, einst Verbündete, wandeln sich zu Feinden.

Es werden jetzt wieder viele sagen, Israel müsse sich nicht wundern, wenn seine Botschaft in Kairo gestürmt und das dortige Personal beinahe gelyncht wird. Die Feinde Israels werden auch diesmal zum altbekannten Mittel der Täter-Opfer-Umkehr greifen, also das Opfer beschuldigen und die Täter entschuldigen. Es gibt jedoch nichts zu entschuldigen, wenn ein Mob eine diplomatische Vertretung attackiert und die Sicherheitskräfte des Gaststaates derart eklatant versagen wie in der Nacht auf Samstag in Kairo.

Im Hintergrund dieser eher moralischen Ebene erhebt sich eine andere, beunruhigendere Frage. Der Arabische Frühling hat einen für Israel äußerst unangenehmen Nebeneffekt: Seine Position in der Region ist prekärer geworden, als sie seit Jahrzehnten ohnedies schon war. Ägyptens gestürzter Autokrat Hosni Mubarak hatte für Israel den Vorteil einer gewissen Berechenbarkeit. Jetzt ist eine neue Variable im Spiel: das Volk und sein Zorn. Der Hass auf Israel, den ja auch Mubarak in seinen Staatsmedien trotz des seit 1979 bestehenden Friedensvertrags schüren ließ, wenn er einen Sündenbock brauchte, um von der eigenen korrupten Unfähigkeit abzulenken, dieser Hass bricht sich nun Bahn auf den Straßen Kairos. Und wieder fungiert Israel als Blitzableiter für hausgemachte Frustrationen. Bezeichnenderweise protestierten die Demonstranten zunächst gegen die Versäumnisse des eigenen militärischen Übergangsrats, bevor sie zur israelischen Botschaft weiterzogen. Je näher die ägyptischen Wahlen rücken, desto schriller werden wohl die anti-israelischen Töne. Ägyptens oberster Militärrat signalisierte zuletzt schon Volksnähe, indem er eine neue Härte gegenüber Israel markierte, die Grenze zum Gazastreifen öffnete und die Annäherung zwischen der Fatah von Palästinenser-Präsident Abbas und der radikalen Hamas vermittelte.

Von allen Seiten erhöht sich der Druck auf Israel. Die Türkei, einst ein wichtiger Verbündeter, ist auf populistischen Konfrontationskurs gegangen, seit israelische Soldaten vor einem Jahr neun türkische Aktivisten eines „Hilfsschiffs“ getötet haben, das die Seeblockade vor Gaza durchbrechen wollte. Im September noch wollen die Palästinenser von der UN-Generalversammlung als neuer Staat aufgenommen werden. Ein symbolischer und kontraproduktiver Akt. Denn einen lebensfähigen palästinensischen Staat kann es erst nach einem Frieden mit Israel geben.

Israel ist in dieser Umbruchsituation mit einer erratischen konzeptlosen Führung gestraft. Außenminister Avigdor Lieberman ist ein dilettantischer Provokateur, der Premier, Benjamin Netanjahu, seit Ausbruch des Arabischen Frühlings wie gelähmt. Um aus der Defensive zu kommen, sollte Israel glaubwürdiger als zuletzt Friedenswillen zeigen. Ein Schachzug wäre möglich: Israel stoppt den völkerrechtswidrigen Bau von Siedlungen und verhandelt wieder mit den Palästinensern. Netanjahu müsste dafür mit einem Koalitionswechsel zahlen. Doch der Preis ist nicht zu hoch, wenn Israel wieder mehr internationalen Rückhalt bekommt. Es braucht seine Freunde mehr denn je.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2011)

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