Intensivkurse: Politik kämpft gegen Leseschwäche

(c) Clemens Fabry
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Oberösterreichs Landeshauptmann plädiert für ein eigenes Fach „Lesen“. In Wien sollen unterdessen mehr als 3700 Schüler einen Intensivkurs belegen. Maßnahmen haben dort schon konkretere Formen angenommen.

Wien. Rote Haare und ein grünes Gesicht, so sieht das Monster aus, das der elfjährige Christian auf ein weißes Blatt Papier zeichnet. Er versucht das, was er in seiner Abenteuergeschichte gelesen hat, bildlich darzustellen. Die Leseaufgabe fällt dem Schüler aus der Kooperativen Mittelschule Redtenbachergasse in Wien nicht allzu schwer. Sein Klassenkollege Emmanuel hat mit seiner Aufgabe schon etwas mehr zu kämpfen. Er soll im Wort „Kupferdose“ einen Tiernamen finden. Schlussendlich schafft aber auch er die Aufgabe – und notiert sich das Wort „Pferd“ auf seinem Notizblock. Viele andere Schüler könnten derartige Aufgaben – wie sie bei der „Startwoche Lesen“ gestellt werden – nicht bewältigen. Wie der im Frühjahr durchgeführte Wiener Lesetest zeigte, kann jedes vierte Kind nicht lesen.

Nicht nur in Wien, auch in den Bundesländern will die Landespolitik dagegen vorgehen. Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) schlägt etwa vor, die Stundentafel in den Volksschulen zu adaptieren. Den drei elementaren Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen solle mehr Zeit zur Verfügung gestellt werden. Dass Schreiben und Lesen derzeit im Fach „Deutsch“ zusammengefasst werden und dafür gemeinsam nur fünf Wochenstunden vorgesehen sind, sei unzureichend. Pühringer fordert deshalb ein eigenes Fach „Lesen“. Dieses könnte dazu beitragen, die Lesekompetenz schneller und besser bei Kindern zu verankern, so der Landeshauptmann. Fächer wie Sachunterricht sollten erst dann verstärkt angeboten werden, wenn Lesen, Schreiben und Rechnen bei den Schülern wirklich „sitzen“. Das sei aber kein Plädoyer gegen die Allgemeinbildung: „Im Gegenteil, sie wird damit erst wirklich möglich“, sagt Pühringer.

In Wien haben die Maßnahmen schon konkretere Formen angenommen. Während in der ersten Klasse der KMS Redtenbachergassse die bunten Schultüten aus Karton noch von der Decke baumeln und daran erinnern, dass der Start in der neuen Schule erst eine Woche zurückliegt, hat bereits eine intensive Lesewoche begonnen. Die sogenannte „Startwoche Lesen“ ist für die gesamte fünfte Schulstufe verpflichtend. Eine dringende Maßnahme, wenn man bedenkt, dass 24 Prozent der im letzten Schuljahr getesteten Kinder (4. Klassen Volksschule) als Risikoschüler gelten. Sieben Prozent der Volksschüler sind sogar „extrem schwache Leser“. Ihnen falle es sogar schwer, „einen Fahrschein am Automaten zu kaufen“, so das ernüchternde Ergebnis.

Die Lesefertigkeiten von 7000 Hauptschülern und 8800 AHS-Schülern werden nun eine Woche lang von ihren Lehrern unter die Lupe genommen; das sieht das Konzept der Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl vor. Damit soll eine individuelle Leseförderung ermöglicht werden. Ende dieser Woche wird an jeder Schule eine sogenannte „Lesekonferenz“ darüber entscheiden, welches Kind einen Leseintensivkurs besuchen muss. Dieser wird bereits kommende Woche starten und mindestens zwei Monate dauern. Pro Woche sollen die schwachen Leser vier Stunden zusätzlichen Leseunterricht bekommen – teilweise zusätzlich zum Regelunterricht, teils unterrichtsersetzend.

Im Stadtschulrat rechnet man damit, dass rund 3000 Hauptschüler und 700 AHS-Schüler derartige Intensivkurse besuchen müssen. Auch an der KMS Redtenbachgasse werden voraussichtlich einige Kinder den Intensivkurs absolvieren. Von 43 Erstklässlern haben 18 Kinder große Leseschwiergikeiten. Der allgemeine Trend, wonach Mädchen besser lesen als Buben, bestätigt sich auch hier. Denn 13 der 18 schlechten Leser sind Buben. Eine drastischere Maßnahme gibt es für jene Schüler, deren Lesekenntnisse so schwach sind, dass sie dem Unterricht nicht folgen können. Sie erhalten einen zweimonatigen „Crashkurs“. 30 Stunden pro Woche sollen sie das Lesen trainieren, dazu werden sie sogar aus dem Klassenverband herausgelöst. Das betreffe vorwiegend Schüler mit Migrationshintergrund, die noch nicht lange in Österreich sind und deshalb als außerordentliche Schüler gelten.

 

Stemer fordert Formel gegen „Projektitis“

Eine Lese-Initiative speziell in der Volksschule wünscht sich der Vorarlberger Bildungslandesrat und Landesschulratspräsident Siegmund Stemer (ÖVP). „Es muss endlich Schluss sein mit dieser Projektitis“, so Stemers Kritik an Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ). Er befürchtet, dass bei dem neuen Augenmerk auf Projekte an Schulen – beispielsweise zum Thema Umwelt – das Üben von Lesen und Schreiben, aber auch Rechnen zu kurz komme. „Vor allem weniger begabte Schüler kommen dann nicht mehr mit“, sagt Stemer im Gespräch mit der „Presse“. Projekte sollten entweder überhaupt eingedämmt oder aber stärker auf die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen ausgerichtet werden. „Dafür braucht es eine verbindliche Formel“, sagt er in Richtung Schmied.

Für die Volksschule schwebt Stemer – im Gegensatz zu Pühringer – nicht unbedingt ein eigenes Fach Lesen vor. Die sieben „Gesamtunterricht“-Stunden sollten künftig aber jedenfalls dezidiert den drei Grundkompetenzen gewidmet werden. „Dieser Schwerpunkt muss wieder klarer erkennbar sein“, sagt er. Denn viele Schüler hätten nicht die Chance, zu Hause zu üben – das müsse „viel mehr als zuletzt“ in den Schulen passieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2011)


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