Akademietheater: Schmutzige Geheimnisse bei Kleist

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Matthias Hartmann inszeniert das Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ zynisch-unterhaltsam, mit Kabinettstücken für die Stars, aber doch nicht ganz stimmig. Seine Interpretation ist plakativ.

Auf einem flachen, quadratischen Podest, das mächtig die Mitte der Bühne des Akademietheaters einnimmt, liegt ein verletzter Mann in Unterwäsche. Es schneit. Diese noch weiße Insel inmitten eines kahlen Raumes (Bühnenbild: Stéphane Laimé), Haus und Wirkungsstätte des Richters Adam, ist von matschiger, klebriger Erde umgeben. Hier wird nichts sauber bleiben, ahnt man.

Mühsam erhebt sich der an Kopf und Gliedern lädierte Mann (Michael Maertens); es ist der Dorfrichter Adam, er lag in seiner eigenen Blutlache. Nun versucht er sein Bein zu verbinden. Zuvor aber muss er sich noch übergeben. Das geschieht laut und vulgär. Man sieht sofort: Dieses Haus steckt im Dreck und Adam hat sich befleckt. Die saubere Kleidung, die ihm eine Magd (Brigitta Furgler) bringt, kann seine Sauerei nicht kaschieren, auch wenn er das Sakko dazu verwendet, sie zu verdecken.

Mit solchen reduzierten, sofort zu entschlüsselnden Bildern beginnt Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann seine auf harte Kontraste von Schmutz und Sauberkeit bauende, zweistündige Inszenierung von Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“. Seit der (misslungenen) Uraufführung durch Goethe in Weimar 1808 hat diese Komödie an Faszination stark gewonnen, sie ist zeitlos zeitgemäß, ein rasendes Verfahren, in dem die Tragödie nur knapp verfehlt wird.

Alle haben Dreck am Stecken

Bei Hartmann endet die Vorstellung in zynischer Vernunft. Seine Interpretation der Bloßstellung eines Richters, der über seinen eigenen Fall urteilen muss, ist plakativ. Sie bleibt zwar dem Werk über weite Strecken treu, doch im Finale erhält die Vorstellung einen ordentlichen Patzer. Alle haben Dreck am Stecken bei dieser Inszenierung, die am Sonntag Premiere hatte. Auch das ist platt. Aber die Darsteller lassen trotzdem etwas von Kleists Esprit ahnen, vor allem in Solonummern. Die serielle Anstrengung ergibt einen unterhaltsamen, soliden, wenn auch nicht ganz stimmigen Abend.

Zu den Kabinettstücken: Maria Happel als klagende Frau Marthe, die Schadenersatz für ihren Krug fordert, eigentlich aber Heiratschancen und Unschuld ihrer Tochter Eve (Yohanna Schwertfeger) meint, hat das Publikum mit ihren ulkigen Auftritten sofort auf ihrer Seite, als scharfzüngige, aufgedonnerte Alte, die keine Kompromisse kennt. Was heißt Auftritt? Sie stakst geziert mit den Stöckelschuhen in der einen, der Tasche mit den Scherben des Krugs in der anderen Hand durch den Gatsch. Bald wird auch sie schmutzig.

Nur der Richter sitzt anfangs scheinbar sicher auf einem hohen Stuhl für Tennis-Umpires, der vom Schreiber per Winde vom Plafond geholt wird. Dieser Licht (Juergen Maurer gibt diskret und makellos einen Karrieristen) steht in Gummistiefeln vor seinem Pult im Dreck, aufgereiht an der Rampe versuchen Kläger, Zeugen und Beklagte vergeblich, sauber zu bleiben. Aber selbst der Revisor, Gerichtsrat Walter (Roland Koch), der zum Unglück für Adam just am Gerichtstag angereist kommt und über Planken aufs Podium geführt wird, um im Verlauf der Verhandlung an dessen Rand auf einem Bürosessel zu balancieren, bekommt bald auf seinen Business-Anzug Dreckpatzen ab. Koch spielt die Autorität mit viel Geschick so, dass man bald weiß: Hier will einer nur den Schein wahren und mit aller Macht den Ruf des Gerichts retten.

Triebhafte, mächtige Herren

Das kann doch nicht so schwer sein, bei solch dummem Volk, das Peter Miklusz als Eves begriffsstütziger Verlobter Ruprecht und Ignaz Kirchner als dessen unterwürfiger Vater mit gestisch mimischer Glanzleistung kongenial darstellen. Wenn da nicht das störrische Mädchen wäre. Schwertfeger ist als Eve erst schüchtern, dann aggressiv, schließlich berechnend.

Vor allem aber gibt Maertens einen Richter, dessen Verschlagenheit durch seine Blödheit weit übertroffen wird. Er ist der erste, der das Podium beschmutzt, er ist hochfahrend, wenn er schweigen soll, und langsam, wenn es ums Begreifen geht. Hätte man an diesem Abend stumm gespielt – allein die Körpersprache verriete ihn. Man könnte auch sagen, der jung wirkende Maertens übertreibt zuweilen als triebhafter, das Mädchen bedrängender Alter, der sie auch noch im Fall erpressen will. Über längere Strecken nimmt er sich dann aber ziemlich weit zurück.

Der Richter hat endgültig verloren, als Zeugin Brigitte ihre enthüllende Aussage macht. Therese Affolters furioser Auftritt beginnt, als die Inszenierung durchzuhängen droht. Nun kann auch Eve anklagend auf den Täter zeigen, den Schonung erwartet. Aber was passiert nun? Hartmann übertreibt, er will Kleist an Coolness übertreffen. Das misslingt, weil er der Charakterzeichnung Gewalt antut. Herr Walter bedrängt das Mädchen, der Verlobte wird zu den Soldaten geschickt, im zerbrochenen Krug klingelt die Goldmünze des Revisors. Mit raschem Blick hat Marthe die neue, menschenverachtende Situation bereits erfasst. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen.

Nächste Termine: 14., 16., 23., 24. September, 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2011)

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