Der ungarische Regierungschef muss dringend sein ideologisches Spiegelkabinett verlassen. Ansonsten verfällt er endgültig in politischen Autismus.
Die Mitarbeiter der Londoner PR-Beratung Financial Dynamics werden über die jüngsten Nachrichten aus Budapest alles andere als erfreut gewesen sein. Kein Wunder, ist doch die Agentur im März von der ungarischen Regierung engagiert worden – und zwar mit dem Auftrag, das Außenbild des Landes aufzuhübschen. Die Aufregung um die Franken-Kredite sowie die gestrige Aufhebung der Immunität von Ex-Premier Ferenc Gyurcsány machen diesen Job nicht gerade einfacher.
Und eine Herausforderung ist diese Imagepolitur allemal, denn Ungarn hat keine besonders gute Presse, um es mal vorsichtig zu formulieren. Wenn dieser Tage im Ausland über das Land berichtet wird, dann vor allem im Zusammenhang mit umstrittenen Reformvorhaben wie dem Mediengesetz, der neuen Verfassung samt „nationalem Glaubensbekenntnis“ in der Präambel, den Sondersteuern für (vor allem ausländische) Unternehmen oder der Einverleibung der privaten Pensionskassen durch das staatliche System. In Budapest lebe eine Clique rund um Regierungschef Viktor Orbán ihre Allmachtsfantasien ungeniert aus, so der Grundtenor der Kritik.
Angesichts dieses medialen Trommelfeuers ist es angebracht, an einen nicht unwesentlichen Sachverhalt zu erinnern: Orbán ist kein Außerirdischer, der mit seiner fliegenden Untertasse in Budapest gelandet ist und dort die Macht an sich gerissen hat. Nein, seine Fidesz-Partei wurde bei der Parlamentswahl im Vorjahr vom Souverän mit einer überwältigenden Mehrheit ausgestattet. Diese Mehrheit, die es ermöglicht, die Verfassung in Eigenregie umzuschreiben, ist vom Wahlvolk legitimiert.
Auch was die Performance der Fidesz-Regierung betrifft, ist nicht alles in Bausch und Bogen zu verdammen. Der ungarische EU-Vorsitz im ersten Halbjahr 2011 mündete beispielsweise nicht in die befürchtete Katastrophe, sondern brachte etwa die Donaustrategie oder die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien unter Dach und Fach.
Und die neue Verfassung ist nicht so schlimm wie gedacht. Das Bekenntnis zu Gott, Krone und Vaterland erfüllt laut Verfassungsrechtlern nur eine ornamentale Funktion. Und die harsch kritisierte Einschränkung der Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs, budgetrelevante Gesetze zu prüfen, gilt nur, solange die Verschuldung 50 Prozent des BIPs übersteigt. Tragen die Sparanstrengungen der Regierung Früchte, erhalten die Richter ihre Befugnisse zurück.
Ist also die Kritik an Orbán zur Gänze substanzlos? Mitnichten. Der Regierungschef hat nämlich einen beunruhigenden Hang zum Absolutismus. Dieser Hang manifestiert sich nicht in plumper Machtgestik, sondern in mehr oder weniger subtilen Versuchen, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Ein gutes Beispiel dafür ist der an Aberwitz grenzende Versuch, seinen (ebenfalls demokratisch legitimierten) Vorgänger Gyurcsány für dessen Budgetpolitik vor den Kadi zu zerren. Auch der Eingriff in bestehende Verträge im Zusammenhang mit den Franken-Krediten deutet in diese Richtung. Fast scheint es, als ob Orbán mit der Gegenwart nicht zufrieden wäre und nun auch die Vergangenheit unter seine Kontrolle bringen möchte.
Damit wären wir beim Hauptproblem dieser ungarischen Regierung angelangt: Das Gedankengebäude von Viktor Orbán ist luftdicht. Der Wahltriumph scheint ihn so von der Richtigkeit seiner Thesen überzeugt zu haben, dass er keinen Kontakt mehr mit der Außenwelt sucht. Ein ähnliches Phänomen konnte man übrigens vor wenigen Jahren in Polen beobachten, als Lech und Jarosław Kaczyński nach ihrem Erfolg zu Polit-Autisten wurden, die jeglichen Dialog mit Andersdenkenden als Vaterlandsverrat diskreditierten. Doch genau diese Gesprächsbereitschaft sorgt für frischen Wind und gewährleistet, dass an den Schaltstellen der Macht die Sauerstoffzufuhr funktioniert.
Wenn es Orbán nicht schafft, zumindest ab und zu sein ideologisches Spiegelkabinett zu verlassen, bekommt er (wie die Kaczyńskis) die Rechnung dafür an der Wahlurne präsentiert. Vorher werden die PR-Experten von Financial Dynamics jedenfalls noch viel zu tun haben. Doch die sind Kummer gewohnt. Denn schließlich zählt auch Griechenland zu ihren Kunden.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2011)