Erdoğan wirbt für „türkisches Modell“

(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
  • Drucken

Die Türkei ist eine der wenigen Demokratien im islamischen Raum. Kann Atatürks Republik als Blaupause für die Länder des Arabischen Frühlings dienen? In der Türkei gibt es auch nachdenkliche Kommentare.

Istanbul/Tunis. Erst Ägypten, gestern Tunesien, am heutigen Donnerstag schließlich Libyen: Der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan klappert der Reihe nach die Staaten des Arabischen Frühlings ab. Dabei wirbelt er nicht nur mit antiisraelischer Rhetorik Staub auf und gewinnt damit die Herzen der Araber, es ist auch eine Werbetour für das Modell Türkei als eines islamisch dominierten und gleichzeitig demokratischen Staates, und das Modell seiner islamisch-konservativen AK-Partei.

Dass diese Mission nicht ganz leicht ist, wurde ihm am Mittwoch verdeutlicht, als die Moslembruderschaft etwas verschnupft auf Erdoğans Aufforderung reagierte, wie in der Türkei auch in Ägypten Staat und Religion zu trennen: „Die Umstände, die in der Türkei einen säkularen Staat herbeigeführt haben, unterscheiden sich von denen in Ägypten“, hieß es in einer Mitteilung der Bruderschaft.

Die Reise entspricht jedenfalls Erdoğans Temperament, und er weiß, dass sie zu Hause gut ankommt. Doch in der Türkei gibt es auch nachdenkliche Kommentare. Mehmed Ali Birand weist in der Zeitung „Posta“ darauf hin, dass Demonstrationen wie jene zu Ehren von Erdoğan in Ägypten oft von kleinen Gruppen organisiert würden, denen es um eine ganz bestimmte Botschaft gehe. Tatsächlich fällt bei den TV-Bildern auf, dass alle Demonstranten das gleiche Erdoğan-Plakat in die Höhe reckten. Während der Premier auf der arabischen Straße punktet, macht er sich bei den Eliten nicht gerade beliebt, wenn er ihre Rolle stiehlt und sie als unfähig vorführt, meint Birand.

Schwieriger Balanceakt

Aus anderen Gründen kommt seine Radikalität auch in Europa und den USA nicht an. Doch wenn man sich Erdoğans Äußerungen der letzten Tage genauer ansieht, stellt man fest, dass er sich dieses Balanceaktes bewusst ist. Er hat, wenn auch nur in einem Interview, den Ägyptern die Trennung von Staat und Religion empfohlen. Das dürfte dem Westen gefallen und kann als Argument gegen Kritiker in der Türkei verwendet werden. Er hat in seiner Rede vor den Außenministern der Arabischen Liga eine Trennung zwischen „Israel“ und dem „Volk Israels“ gemacht. In Kairo traf er auch Kopten-Papst Schenuda. All das kann zur Beruhigung des Westens dienen.

Schließlich ist er mit den Mächten in der Region glimpflich umgegangen. Sein Aufruf zu Reformen und Demokratie blieb abstrakt. Nur Syriens Präsidenten Bashir al-Assad hat Erdoğan namentlich angegriffen. Erdoğan hat Assad offenbar abgeschrieben.

Hinter der Reise steckt also ein durchdachtes Konzept, wie es Außenminister Ahmet Davutoğlu in seinem Buch „Strategische Tiefe“ beschrieben hat. Hier besteht diese Tiefe darin, dass Erdoğan bei den Arabern Popularität gewinnt. Die kann er dann auch benutzen, um Botschaften zu überbringen, die aus anderem Mund weniger gehört würden, wie etwa die Empfehlung einer säkularen Verfassung. Das macht ihn dann auch wieder für den Westen interessant.

Grundproblem dieses Konzeptes ist, dass es die Gegensätze zwischen Ost und West zur Voraussetzung hat, die es angeblich überbrücken soll. Eine Verschiebung der Perspektive weg von der Konfrontation würde die Rolle der Türkei überflüssig machen.

Kein erfolgreicher Vermittler

Das Ergebnis ist, dass die Türkei den Israel-Palästina-Konflikt mitten in den Arabischen Frühling trägt, in dem er bis dahin praktisch keine Rolle gespielt hat.

Mittlerweile kommt hinzu, dass die Türkei nach Erdoğans Willen nicht nur als Vermittler in der Region auftreten soll, sondern als Ordnungsmacht, die etwa Israel zwingen soll, Schiffe nicht auf hoher See zu kapern. Das übersteigt die militärischen Möglichkeiten der Türkei und könnte zu Misstrauen in anderen Ländern führen. Auch in jenen, in denen Erdoğan dieser Tage für das türkische Modell wirbt.

Zur Person

Mustafa Akyol (*1972) zählt zu den bekanntesten Kolumnisten der Türkei. Er schreibt u. a. für „Hürriyet Daily News“, aber auch für internationale Medien wie „Washington Post“. Vor kurzem erschien sein Buch „Islam Without Extremes“. Er war auf Einladung der „Erste Stiftung“ und der „European Stability Initiative“ (ESI) in Wien. [privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Ägypten: Drohung mit Wahlboykott

Tausende demonstrierten für eine Änderung des Wahlrechts. Sie verlangen, dass ehemalige Parteigänger Mubaraks von der für November angesetzten Parlamentswahl ausgeschlossen werden.
Außenpolitik

Saudiarabien: Seine königliche Hoheit lässt wählen

Die Kommunalwahlen werden im größten Golf-Königreich Saudiarabien kaum wahrgenommen. Dementsprechend hält sich das Interesse in engen Grenzen. Die Demokratisierung schreitet auch weiterhin nur sehr zaghaft voran.
Mustafa Akyol
Außenpolitik

"Die Türkei wird kein religiöser Staat"

Interview. Autor Mustafa Akyol glaubt, dass von der AKP positive Impulse für die arabische Welt ausgehen. Den türkischen Säkularismus hält er für zu autoritär.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.