Großbritannien: Netto mehr für Reiche - Laffers ungeliebte Kurve

Symbolbild
Symbolbild(c) AP (Laurent Gillieron)
  • Drucken

Um zu sparen, wollen die britischen Tories die Spitzensteuer senken und damit für Wachstum sorgen. Das Vorhaben sorgt für Unverständnis – beim Koalitionspartner, den Liberal Democrats, wie bei der Bevölkerung.

London. Als George Osborne Anfang letzten Jahres um Wählerstimmen kämpfte, betonte er zwei Themen: Ausgabenkürzungen zum Abbau der Staatsschulden und Steuersenkungen. Die umstrittene Konsolidierung konnten die Tories nach ihrem Wahlsieg im Mai 2010 gemeinsam mit den liberalen Liberal Democrats umsetzen. Rund 81 Mrd. Pfund werden bis zu den nächsten Wahlen 2015 eingespart.
Doch damit Osbornes Hauptanliegen, die Staatsschuld von mittlerweile 83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nachhaltig zu senken, Erfolg haben kann, muss die britische Wirtschaft endlich wieder wachsen. Gelingen soll das durch geringere Steuern. Osborne will den vergleichsweise hohen Spitzensteuersatz von 50 Prozent senken, dadurch die Wirtschaft ankurbeln und gleichzeitig mehr Geld in die Kassen spülen.

Revival für Reagans Erfolgsmodell

Die Theorie hinter Osbornes Kalkül ist nicht neu. Unter Ökonomen ist sie als Laffer-Kurve (siehe Grafik) bekannt: Bis zu einer bestimmten Höhe des Steuersatzes nimmt der Staat mehr Geld ein, wenn er den Satz erhöht. Doch ab einem gewissen Punkt wirken sich Steuererhöhungen für den Fiskus negativ aus. Bewirkt wird das, nach dem Chicago-Ökonomen Arthur Laffer, durch die wachstumshemmende Wirkung zu hoher Steuern oder dadurch, dass Spitzenverdiener abwandern. Ob das Argument auf Großbritanniens Situation zutrifft, ist derzeit Kern einer hitzigen Debatte. Denn die Steuerpolitik ist in der Koalition Streitthema geblieben.
Schätzungen für die optimale Steuerrate, die Einnahmen generieren soll und Wachstum stimuliert, variieren zwischen 30 und 70 Prozent. Auch darüber, ob die Laffer-Kurve eine empirische oder nur eine theoretische Wahrheit ist, wird gestritten. Zumindest einmal schaffte es das Theorem prominent in die Praxis, wenn auch auf deutlich höherem Steuerniveau: Als die US-Administration unter Ronald Reagan ab 1981 die Steuern bei Spitzeneinkommen von 70 auf 50 Prozent senkte, erhöhten sich tatsächlich die Einnahmen aus dieser Einkommensklasse. In einem gemeinsamen Brief an die „Financial Times“ drängten vergangene Woche 20 namhafte Volkswirte die Regierung, die Steuer schleunigst zu senken. Paul Johnson, Direktor des Thinktanks Institute for Fiscal Studies, rät hingegen davon ab.

Finanzbranche würde nicht abwandern

Die Liberal Democrats, mit denen das Steuergesetz beschlossen werden müsste, glauben nicht an das Konzept. „Die Tories leben wohl in Wolkenkuckucksheim“, sagt der „Lib Dem“-Chefsekretär des Schatzamtes Danny Alexander. Die Liberalen wollen zuerst Geringverdiener entlasten und stattdessen eine „Mansion Tax“ einheben, die Immobilien ab einem Wert von einer Million Pfund besteuern soll. Die Tories sträuben sich, da sie dadurch einen Großteil ihrer Wähler verprellen würden.
Argumente für seine Pläne bekommt Osborne aus der Nähe der Finanzbranche, die einen mächtigen Teil der britischen Wirtschaft ausmacht und derzeit über elf Prozent der Steuereinnahmen bringt. Von den knapp 30 Millionen Steuerzahlern in Großbritannien zahlen gut 300.000 den Spitzensatz auf Einkommen. Viele sind Banker aus der Londoner City.

Bevölkerung für hohen Spitzensteuersatz

Die Unternehmervertretung CBI droht sogar implizit, Evidenz für die Laffer-Kurve könne notfalls erzeugt werden. Ihr Präsident John Cridland sagte wiederholt, dass „hochmobile und qualifizierte Arbeitskräfte einen guten Grund brauchen, wenn sie in Großbritannien Geschäfte machen sollen“. Eine Steuer von 50 Prozent sei ein Argument für das Gegenteil. Und ein Massenexodus der Finanzdienstleister sei nachteilig für eine rasche Erholung der britischen Wirtschaft.
So sorgen sich die Konservativen Großbritanniens vor allem um die Zukunft des Standorts London als Europas größten Finanzplatz. Der scheint aber durch die hohe Steuer kaum in Gefahr. Mehrere in London angesiedelte Hedgefonds berichten, dass sie wegen des Steuersatzes allein nicht abwandern würden.
Für die Beibehaltung des hohen Spitzensteuersatzes sprechen Wählerumfragen. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov ermittelte kürzlich, dass die meisten Briten, sogar eine knappe Mehrheit der Tory-Wähler, die 50-Prozent-Spitzensteuer begrüßen. Ein Grund dafür dürfte die schon lang steigende Einkommensungleichheit sein. Zudem bekommen die bisherigen Einsparungen vor allem mittlere und untere Einkommensklassen zu spüren.
Für die Tories ist der umstrittene Steuersatz daher auch eine Gratwanderung zwischen Wirtschaftsnähe und Nähe zur Bevölkerung. Und dann ist da die Frage, was Laffers Kurve tatsächlich für die britische Wirtschaft bringt. Die Finanzbehörden sollen bis Jänner 2012 wenigstens ermitteln, wie viel Steuern die Spitzenverdiener bisher zahlen. Zumindest bis dahin wird wohl unter den Koalitionären gestritten – und die Kurve Laffers unter Briten kaum beliebter.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.