Das isolierte Land: Israel verliert Rückhalt

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In Jerusalem liegen die Nerven blank. Die Regierung hat noch immer kein Konzept für die Situation nach dem „Arabischen Frühling“ entwickelt. Die Internationale Gemeinschaft wendet sich zusehends von Israel ab.

Im Herbst des „Arabischen Frühlings“ gerät Israel von allen Seiten unter Druck. In einem TV-Interview stellte nun Ägyptens Übergangspremier Essam Sharaf erstmals öffentlich den 1979 geschlossenen Friedensvertrag mit Israel infrage. Das Camp-David-Abkommen sei nicht sakrosankt, es könne verändert werden, wenn dies einem fairen Frieden in der Region diene, sagte er.

--> UNO: Abbas beantragt Palästinenserstaat

Der Zeitpunkt ist heikel, die Nerven liegen blank. Vor einer Woche stürmte ein Mob die israelische Vertretung in Kairo; Israel zog seinen Botschafter ab, so wie mittlerweile auch aus Jordanien. In der Nacht auf Freitag brannten in Amman die Davidstern-Fahnen. Hunderte Demonstranten forderten eine Aufkündigung des jordanisch-israelischen Friedensvertrags.

Erdoğan gibt den Takt vor

Den Takt in diesem diplomatischen Furioso gibt der neue „Sultan“ des Nahen Ostens vor. Zu Beginn des Monats wies der türkische Premier Erdoğan Israels Botschafter aus Ankara aus. Seither legte er nach. Diese Woche bekräftigte er in Tunesien, dass türkische Kriegsschiffe künftig Hilfskonvois zum palästinensischen Gazastreifen begleiten würden. Ägypten, Jordanien und die Türkei – alle drei Staaten der Region, zu denen Israel diplomatische Beziehungen unterhält, sind auf Konfrontationskurs gegangen.

Entfacht wurden die Krisen jeweils durch militärische Überreaktionen Israels. Erdoğan ging auf die Barrikaden, nachdem israelische Soldaten am 31. Mai 2010 neun türkische Aktivisten eines Hilfsschiffs für Gaza getötet hatten. Die ägyptischen Demonstranten rechtfertigten ihren Sturm auf die Botschaft ähnlich, wie die Türkei die diplomatische Eiszeit begründet hatte: Israel habe sich nicht ausreichend dafür entschuldigt, dass es am 18. August nach einem Anschlag in Eilat (acht tote Israelis) auf der Jagd nach den Attentätern versehentlich fünf ägyptische Polizisten erschossen hat. Es ist eine neue Ära im Nahen Osten angebrochen. Vor der Revolution in Ägypten musste sich Israel nur mit einem Mann halbwegs verstehen: mit Präsident Hosni Mubarak. Jetzt ist plötzlich die öffentliche Meinung ein Faktor. In Ankara hat sich Israel vor allem der kemalistischen Militärelite verbunden gefühlt. Je stärker Erdoğan aber die Armee zurückdrängte, desto antiisraelischer wurde die türkische Außenpolitik. Die Bevölkerungen in der Türkei, in Ägypten und Jordanien waren nie überzeugt von der Kooperation mit Israel. Ihr Hass lud und lädt sich am ungelösten Palästina-Konflikt auf. Die Demokratisierung der arabischen Welt musste sich deshalb fast zwangsläufig negativ auf Israel auswirken.

Daran wird sich so bald auch nichts ändern. Denn die amtierende israelische Regierung hat seit dem 14. Jänner 2011, seit dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali, kein Konzept für die neue Situation entwickelt. Rund um das „Heilige Land“ verändert sich die Welt, doch Premier Benjamin Netanjahu macht so weiter wie bisher. Vielleicht müsste er sich nun direkt an die Araber wenden, so wie das der damalige ägyptische Präsident Anwar Sadat vor dem Friedensschluss in der Knesset tat. Diese Nummer hat Israels Premier jedoch nicht in seinem Repertoire.

In den vergangenen zwei Jahren hat es Netanjahu geschafft, nicht nur EU-Staaten zu verärgern, sondern auch US-Präsident Obama, dem jedoch vor der US-Wahl 2012 die Hände gebunden sind. Israel verliert an Rückhalt. Kommende Woche wird das diplomatische Drama auf der größtmöglichen Bühne aufgeführt: Während der 66. Generalversammlung der UNO will PLO-Chef Mahmoud Abbas einen Antrag auf Anerkennung eines palästinensischen Staates stellen. Völkerrechtliche Folgen wird das nicht haben, auch wenn der Präsident von Ramallah 140 der 193 Mitglieder der UNO, darunter auch etliche europäische, an seiner Seite weiß. Die USA haben ihr Veto im Sicherheitsrat, dem entscheidenden Gremium, angekündigt.

Neue Protestformen

Doch symbolisch und moralisch zeichnet sich ein Punktegewinn für die Palästinenser ab, während Israel weiter isoliert wird. Dieses Bild könnte sich verfestigen, wenn nach der folgenlosen Generalversammlung Palästinenser zu Zehntausenden auf israelische Checkpoints losmarschieren. Einen Vorgeschmack auf diese Protestform gab es am 15. August, dem Jahrestag der Staatsgründung Israels. Aus der Defensive wird Israel erst kommen, wenn es den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten stoppt und mit den Palästinensern verhandelt. Doch das ist schwer vorstellbar: mit Netanjahu als Premier, Lieberman als Außenminister und der terroristischen Hamas an der Macht in Gaza.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2011)

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