Wer zahlt den Spitzensteuersatz?

Jene Erwerbstätigen, die tatsächlich vom 50-prozentigen Steuersatz betroffen sind, machen keineswegs den Kern der Mittelschicht aus.

Maria Fekter findet, dass „ein Steuerzahler mit 4500 Euro Monatsgehalt nicht als Spitzenverdiener gelten soll und daher nicht den Spitzensteuersatz von 50 Prozent zahlen soll“ (Standard, 15.9.2011). Die Finanzministerin argumentiert damit bewusst mit Halbwahrheiten oder hatte einfach noch nicht Zeit, sich mit wichtigen Details des österreichischen Steuer- und Abgabensystems auseinanderzusetzen.

Ein genauer Blick auf das Einkommensteuersystem macht nämlich Folgendes deutlich:

• nur ein sehr kleiner Teil der Erwerbstätigen ist vom höchsten Steuersatz betroffen;
• auch jene, die vom Spitzensteuersatz betroffen sind, müssen nur für einen Teil ihres Einkommens den Spitzensteuersatz abführen;
• selbst von jenem Einkommensteil, der vom Spitzensteuersatz betroffen ist, müssen nicht 50Prozent abgeführt werden.

Denn obwohl laut Gesetz Einkommen von über 60.000 Euro mit 50Prozent besteuert werden, kann es praktisch aus drei Gründen gar nicht so weit kommen:

1. Die Bemessungsgrundlage des Spitzensteuersatzes wird erst nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge schlagend, die insofern als Schutzschild wirken. Tatsächlich muss nämlich nur für jenen Teil des Jahresbruttoeinkommens, der über 80.550€ liegt, der höchste Steuersatz gezahlt werden.

Was die Topverdiener zahlen

2. Auch dann beträgt die Grenzbelastung nicht 50 Prozent. Denn aufgrund der begünstigten Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehalts wird jeder zusätzlich verdiente Euro „nur“ mit 43,71Prozent besteuert. Insgesamt müssen bei einem Jahresbruttobezug von 80.550€ rund 38% an Lohnsteuern und SV-Beiträgen bezahlt werden.

3. Auch die Topverdiener zahlen für die ersten 11.000€ (zu versteuerndes Einkommen) keine Steuer, für die nächsten 14.000€ 36,5Prozent und die folgenden 35.000€ dann 43,21Prozent. Erst für den Rest gilt der Spitzensteuersatz von 50 Prozent.

Effektiv bedeutet dies, dass nur jene 3,2 (!) Prozent aller Erwerbstätigen (5,5Prozent aller ganzjährig Vollzeitbeschäftigten), die mehr als 80.550€/Jahr (5750€ brutto/Monat) verdienen, für einen Teil ihres Lohneinkommens den Spitzensteuersatz von effektiv 43,71Prozent abführen müssen. Selbst bei einem Jahresbruttobezug von über 250.000€ (rund 18.000€/Monat) beträgt die Gesamtbelastung durch Einkommensteuer und SV-Beiträge so „nur“ knapp 42Prozent.

Fakt ist also, dass jene Erwerbstätigen, die vom Spitzensteuersatz betroffen sind, nicht den Kern des Mittelstands ausmachen. Will man wirklich die Arbeitseinkommen als Größe heranziehen, um den Mittelstand zu definieren, bleiben zwei Möglichkeiten:

Variante a): Man teilt die Erwerbstätigen in drei gleich große Gruppen, also in „Unter-, Mittel- und Oberschicht“. Die Mittelschicht sind demnach alle jene, die zwischen 1600 und 2600€ brutto/Monat verdienen.

Variante b): Man zählt alle jene zum Mittelstand, die zwischen rund 1000 und 3000€ brutto/Monat verdienen (das sind 61% der Erwerbstätigen). Da ein großer Teil der wichtigen gesellschaftlichen Arbeit aber ohnehin schlecht oder gar unbezahlt erfolgt, eignet sich im Endeffekt wohl keines dieser Konzepte, um „Leistungsträger“ zu definieren.

Joe Thoman (*1983 in Tirol) arbeitet als Volkswirt in Wien und ist in der Sektion8 der SPÖ Alsergrund aktiv. www.steuermythen.at


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2011)

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