Lampedusa: Migrantenunruhen weiten sich aus

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Das Auffanglager auf Lampedusa wurde von Insassen am Dienstag niedergebrannt, es folgten Kämpfe mit der Polizei und Einwohnern. Auch in anderen Lagern steigt die Gewalt. Auf der Insel herrscht Chaos.

Lampedusa/Rom. Rauchwolken stiegen noch am Mittwoch über der kleinen Insel Lampedusa südlich Siziliens auf. Während Italien mit neuen Hiobsbotschaften zur Eurokrise beschäftigt war, spielten sich an seinem Südrand wieder Szenen der Verzweiflung ab: Das vor drei Jahren neu gebaute Auffanglager der Insel nahe des gleichnamigen Inselhauptortes brannte in der Nacht auf Mittwoch großteils ab, vermutlich durch Brandstiftung: Als Täter werden junge Tunesier vermutet, die seit Wochen gegen die Zustände im Lager und die Abschiebung protestieren.

Fast 1300 Menschen hielten sich zuletzt dort auf, Platz gibt es aber nur für etwa 800, und täglich kommen neue. Der Protest richtete sich auch dagegen, dass die Regierung Flüchtlinge nun bis zu 18 Monate festhalten will. Andererseits hatte Verteidigungsminister Ignazio La Russa vor Tagen bekräftigt, dass man das Rückführungsabkommen mit Tunesien rasch wieder in Kraft setzen werde.

Auf der winzigen Insel, auf der nur ca. 6000 Menschen leben, herrschte am Mittwoch Chaos. Hunderte, meist tunesische Migranten protestierten am Hafen und lieferten sich Zusammenstöße mit der Polizei. Einige stahlen aus einem Restaurant Gasflaschen und drohten, sich zu sprengen. Schließlich griffen zahlreiche empörte Inselbewohner ein und warfen Steine auf die Flüchtlinge, auch ein TV-Team der RAI wurde von Einheimischen attackiert.

Flucht hat wenig Sinn

Weitere Zusammenstöße und Raufereien gab es beim zerstörten Lager, in dem nur noch gut 100 Migranten leben. Fast alle Insassen haben nämlich das Durcheinander zur Flucht genutzt, doch sie kommen auf der 20 km2 großen, fast baum- und wasserlosen Felseninsel nicht weit. Mehrere Hundert wurden wieder festgenommen und ins Stadion gebracht. Andere fanden irgendwo im Freien, in Höhlen oder an Stränden Unterschlupf.

Auch unter den Bewohnern der Insel gehen Angst und Verzweiflung um: Die meisten leben vom Tourismus, der heuer erneut eingebrochen ist. Die Bilder von tausenden Bootsflüchtlingen aus Nordafrika haben viele Gäste verschreckt. „Wir wissen nicht mehr, was wir noch machen sollen“, sagt ein Hotelbesitzer am Telefon. „Wir helfen, wo wir können, aber so kann es nicht weitergehen.“

Das sagt auch Bernardino De Rubeis, der Bürgermeister, der sich gestern in seinem Büro regelrecht verbarrikadiert hat: „Das ist wie im Krieg“, rief er aufgebracht ins Telefon. „Wir wollen keine Flüchtlinge mehr, denn das Auffanglager existiert nicht mehr.“ Einmal mehr wandte er sich mit einem dringenden Appell an die Regierung in Rom und auch an den Staatspräsidenten: „Die Regierung muss sofort Schiffe schicken, um die Flüchtlinge abzutransportieren.“ Wütend macht ihn, dass er schon seit Wochen vor einer Eskalation im Lager gewarnt hat.

Auch das UN-Flüchtlingshochkommissariat kritisiert Rom scharf: „Der Brand ist auch eine Folge davon, dass die Flüchtlinge so lange festgehalten werden und deshalb die Spannungen steigen“, sagte Laura Boldrini, Sprecherin des UNHCR in Italien. Sie habe die Behörden oft auf das Problem aufmerksam gemacht – vergebens.

Weitere Ausbrüche und Unruhen

200 Flüchtlinge wurden gestern von Lampedusa auf die Militärbasis Sigonella (Sizilien) gebracht, doch was mit dem Rest und den Neuen passieren soll, weiß niemand. Auch in anderen Camps auf dem Festland ist die Lage so gespannt, dass Hunderte in den vergangenen Tagen ausbrachen. In Brindisi kam es Dienstag ebenfalls zu Migrantenunruhen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2011)

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