Der Papst in einer Welt der Gottlosen

(c) Dapd (BR)
  • Drucken

Benedikt XVI. wird am Donnerstag zum ersten Staatsbesuch in seiner früheren Heimat eintreffen. Dem Jubel nach der Papst-Wahl 2005 ist Ernüchterung gewichen.

Unbelehrbar, reaktionär, verstockt, diktatorisch, starr, frauenfeindlich, homophob... Derlei Beschreibungen – und die genannten sind noch die harmloseren – quellen Benedikt XVI. in Deutschland (und in Österreich) aus Medien als Willkommensgruß der speziellen Art entgegen. Rund um den ersten Staatsbesuch des deutschen Papstes in seiner ihm ein wenig fremd gewordenen früheren Heimat herrscht Hochsaison für Kirchenversteher und solche, die es nie werden wollen.

Es besteht kein Zweifel: Papst-Bashing kommt bei immer mehr Lesern, Sehern und Hörern ganz gut an. Bei Intellektuellen und jenen, die sich – manchmal schwer zu verstehen – als solche verstehen, sowieso. Kaum etwas erscheint weniger chic, als mit dem Papst übereinzustimmen. Eine in ihren Auswirkungen noch weit unterschätzte Zäsur im Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Öffentlichkeit hat das Brechen des Schweigens von Betroffenen sexueller Gewalt bewirkt. Und das Offenbarwerden einer jahrzehntelang in den Bischofshöfen rund um den Globus und im Apostolischen Palast geübten Praxis des Wegschauens oder Vertuschens. Dabei war das Verhältnis schon vorher massiv gestört.

Zu schwerhörig sind beide Seiten in den vergangenen Jahrzehnten geworden. Die einen wollen nichts von allem wissen, was nur leise an eine Neuübersetzung des Evangeliums und der Kirchenpraxis in die Gegenwart klingt. Dass Kirche nur jeweils im lebendigen, veränderlichen Hier und Jetzt gelebt werden kann, dafür fehlt ihnen das Verständnis. Dass eine Kirche, die stehen bleibt, womöglich gar rückwärts und nicht mit den Menschen geht, dem Vatikanischen Konzil widerspricht, ist evident. Der Begriff Reform lässt in kurialen Kreisen älterer Herren eine kurze, aber fatale Assoziationskette bilden: Reform, Reformation, Kirchenspaltung.

Die anderen hingegen stellen sich allen Hinweisen gegenüber taub, dass das tiefer liegende, eigentliche Problem der katholischen Kirche nicht die Frage ist, wie deren Strukturen aussehen, wie Mitarbeiter rekrutiert werden und wer wann was wo zu sagen hat. Heute wird an alles Mögliche geglaubt – nur nicht an Gott. Erst am Mittwoch wurde wieder eine Studie publik, derzufolge 58 Prozent der Österreicher an Schutzengel glauben. Gleichzeitig 42 Prozent an eine „höhere Macht“. Nicht nur theologischer Analphabetismus ist also selbst in einem vornehmlich katholischen Land weitverbreitet. Was Seelsorgern noch wesentlich mehr Sorgen machen muss: Viele Daten weisen darauf hin, dass die Zahl der Menschen, die von sich sagen können, an Gott zu glauben, zurückgeht. Ohne diesen Glauben aber ist die katholische Kirche mit ihrem jahrhundertealten Schatz an Wissen um den Menschen (und um Gott), mit ihren Riten nichts als behübschendes Beiwerk eines mehr oder weniger beschwerlichen Alltags.

Selbst wenn sich „die“ katholische Kirche, soll heißen, der Papst, dazu aufrafft, den Zölibat abzuschaffen, wenn er Frauen zur Priesterweihe zulässt und damit – siehe Anglikanische Kirche – in Teilen des Kirchenvolks und des Klerus sichere Ablehnung provoziert, wäre noch immer nicht viel gewonnen. So berechtigt die Forderungen sein mögen. Die tiefer gehende Frage bleibt ausgespart, vielleicht weil sie zu schwer zu beantworten ist: Wie kann so etwas wie Gotteserfahrung, oder Gottesahnung ermöglicht, wie erleichtert werden? Oder sind alle diesbezüglichen Kanäle der Heutigen hoffnungslos verstopft?

Vor diesem Hintergrund besucht der 84-jährige Mann in Weiß Deutschland. Abertausende werden ihm (und seiner Botschaft) auf den Straßen, Plätzen und Stadien zujubeln, 100 Abgeordnete werden gehen, wenn er kommt, ein paar tausend werden gegen ihn, gierig von Kameras begafft, demonstrieren. Die meisten wird er wohl eher gleichgültig lassen.

So sieht sie also aus, die Situation im Deutschland des Frühherbstes 2011, die jener in anderen wirtschaftlich hoch entwickelten Gebieten der Welt alles andere als unähnlich ist. Was immer dieser Benedikt XVI. sagt, was immer er nicht sagt, was immer er tut, was immer er nicht tut: Der Papst sieht sich heute immer öfter mit einer Welt der Gottlosen konfrontiert.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Messe 100000 Glaeubigen Papst
Weltjournal

Vor 100.000 Pilgern: Papst kritisiert 'kirchliche Routiniers'

Zum Abschluss seiner Deutschland-Reise feierte Benedikt XVI. eine Messe in Freiburg. Dabei mahnte er "Treue" zu Rom ein.
Der Papst besucht Freiburg
Weltjournal

Papst lobt ostdeutsche Katholiken

In Freiburg jubelten 24.000 Menschen Papst Benedikt XVI. bei strahlendem Sonnenschein zu. Am Morgen sorgte ein Zwischenfall in Erfurt für Aufregung.
DeutschlandReise Papst traf auch
Weltjournal

"Bewegt, erschüttert": Papst traf Missbrauchsopfer

Benedikt XVI. hat am Freitagabend in Erfurt überraschend Missbrauchsopfer getroffen. Der Kirche sei an der Aufarbeitung der Fälle gelegen, versicherte er.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.