Benedikt XVI.: Fremd im eigenen Land

(c) Dapd (Winfried Rothermel)
  • Drucken

Der Papstbesuch in Berlin, Erfurt und Freiburg fällt in eine schwierige Zeit. Die katholische Kirche Deutschlands ist nach den Missbrauchsfällen in einer tiefen Krise. Umso höher der Erwartungsdruck.

Berlin. Drei Städte in vier Tagen, 17 Reden, Gottesdienste vor zigtausenden Gläubigen, Treffen mit Kirchenvertretern und Politikern: Papst Benedikt XVI. erwartet nicht nur ein Mammutprogramm, wenn er heute, Donnerstag, in seiner Heimat zu einem Besuch eintrifft, es schlägt ihm auch viel Protest entgegen. Und ein großer Erwartungsdruck vonseiten der katholischen Kirche Deutschlands: Nach dem Missbrauchsskandal befindet sich diese in einer tiefen Krise, die Gläubigen laufen in Scharen davon, es fehlt an Priestern.

Es ist der dritte Besuch des Papstes nach seinen pastoralen Aufenthalten 2005 beim Weltjugendtag in Köln und 2006 in Bayern – und der erste offizielle „Staatsbesuch“: Daher wird das Oberhaupt der katholischen Kirche in Berlin von Bundespräsident Christian Wulff, übrigens einem wiederverheirateten Katholiken, mit militärischen Ehren im Schloss Bellevue empfangen und am Nachmittag eine Rede im Bundestag halten, was seit Wochen Wellen schlägt.

Mehr als 100 Abgeordnete, vor allem aus den Reihen der Linkspartei, aber auch Grüne und Sozialdemokraten, sehen die religiöse Neutralität des Staates verletzt und haben angekündigt, dem Auftritt fernzubleiben, zu dem Bundestagspräsident Norbert Lammert den Papst eingeladen hat.

Protestbündnis macht mobil

Gegen den Besuch hat auch ein Bündnis „Der Papst kommt“, in dem mehr als 60 Organisationen zusammengeschlossen sind, mobil gemacht. Die Anti-Papst-Demonstration, die zeitgleich mit dessen Rede im Bundestag stattfinden soll und zu der bis zu 20.000 Teilnehmer erwartet werden, darf nun aber aus Sicherheitsgründen nicht wie geplant beim Brandenburger Tor – und somit in unmittelbarer Nähe des Bundestages – beginnen, sondern startet auf dem Potsdamer Platz. Sie richtet sich gegen die Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes.

Vorbei sind die Zeiten, als Deutschland nach der Ernennung von Joseph Ratzinger zum Kirchenoberhaupt jubelte: „Wir sind Papst“, als sein Geburtsort Marktl von Touristen überschwemmt wurde. Die Begeisterung ist geschwunden, der Papst seiner Heimat fremd geworden. Seinem Besuch misst die überwiegende Mehrheit der Deutschen (86 Prozent) keine große Bedeutung zu.

Die Kirche erwartet sich unterdessen Impulse und Schwung für die Ökumene. Ein „Fest des Glaubens“ soll der Besuch werden, hofft Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, mit nachhaltiger Wirkung für die Jugend- und Ministrantenarbeit. Zollitsch hat sich kürzlich eine „barmherzige Lösung“ im Umgang der Kirche mit geschiedenen Wiederverheirateten gewünscht, Erwartungen auf konkrete Aussagen des Papstes bei seinem Besuch aber gedämpft.

Treffen mit Missbrauchsopfern?

Laut verschiedenen Informationen soll es auch ein Treffen mit Missbrauchsopfern geben, als „Geste des direkten Hörens“ gegenüber jenen, denen die Kirche Schaden zugefügt habe. Eine solche Begegnung scheint allerdings im offiziellen Programm nicht auf, das Benedikt XVI. von Berlin nach Erfurt, in die nahegelegene Wallfahrtskirche Etzelbach und zum Abschluss nach Freiburg führen wird.

In Erfurt wird der Papst auf seinen ausdrücklichen Wunsch mit Spitzenvertretern der evangelischen Kirche über die Ökumene sprechen, was eine „Klimaverbesserung“ bewirken soll. Ein gemeinsames Abendmahl mit evangelischen Christen stehe nicht zur Debatte, betonte wenig überraschend der Papst-Botschafter in Berlin, Jean-Claude Perisset. Die Bedeutung der Ökumene hat im Vorfeld auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hervorgehoben, ihrerseits Protestantin: „Das Gemeinsame des christlichen Glaubens sollte immer wieder in Erinnerung gerufen werden.“

Fortschritte bei der Ökumene, bei der Gleichberechtigung, der Mitsprache von Laien und eine modernere Sprache wünschen sich katholische Jugendliche. „Es werden Erwartungen an den Papst gestellt, die er nicht erfüllen kann“, warnte denn Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner. Die Massen wird Benedikt XVI. dennoch anziehen: 70.000 werden allein am Donnerstagabend zur Messe im Berliner Olympiastadion erwartet. Vor dem Schloss Charlottenburg, wie zunächst geplant, wäre es zu eng geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Messe 100000 Glaeubigen Papst
Weltjournal

Vor 100.000 Pilgern: Papst kritisiert 'kirchliche Routiniers'

Zum Abschluss seiner Deutschland-Reise feierte Benedikt XVI. eine Messe in Freiburg. Dabei mahnte er "Treue" zu Rom ein.
Der Papst besucht Freiburg
Weltjournal

Papst lobt ostdeutsche Katholiken

In Freiburg jubelten 24.000 Menschen Papst Benedikt XVI. bei strahlendem Sonnenschein zu. Am Morgen sorgte ein Zwischenfall in Erfurt für Aufregung.
DeutschlandReise Papst traf auch
Weltjournal

"Bewegt, erschüttert": Papst traf Missbrauchsopfer

Benedikt XVI. hat am Freitagabend in Erfurt überraschend Missbrauchsopfer getroffen. Der Kirche sei an der Aufarbeitung der Fälle gelegen, versicherte er.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.