Das tiefe Misstrauen der Vatikan-Prälaten gegen die Kirche Deutschlands

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Rom und Berlin ticken gänzlich anders. Der Vatikan malt ein düsteres Bild der deutschen Kirche: Sie sei geführt von „linken Bischöfen“, heißt es, die „vom Säkularismus beeinflusst“ seien.

Rom. Aus römischer Sicht wird der Besuch Benedikts XVI. in Deutschland, der am Donnerstag, beginnt, eine schwierige Reise. Ablehnung, ja Feindschaft und Hass schlügen dem Papst ausgerechnet in seiner Heimat entgegen, die ihm weiter entrückt sei als jedes andere Land. So schreiben es in den Zeitungen Kirchenspezialisten, die „Vaticanisti“ – aus drei Gründen: Zum einen ist in Rom der Vatikan das unhinterfragte Maß jedweder Kirchlichkeit, zum anderen schreiben diese Journalisten, was sie (angeblich) auf den Fluren der Kurie hören – häufig formulieren sie es päpstlicher aus als der Papst selbst. Zum Dritten wirkt die Einschätzung dieser Kollegen auf die Stimmung im Vatikan selbst zurück.

Im Dunstkreis dieser Verquickungen und Rückkopplungen erscheint Deutschlands katholische Kirche in düstersten Farben. Sie sei geführt von „linken Bischöfen“, heißt es, die „vom Säkularismus beeinflusst“ seien; diese Bischöfe verlangten nach Kirchenreformen und unternähmen nichts gegen aufmüpfige Theologieprofessoren. Die deutschen Bischöfe hätten sich sogar mit der rebellischen Kirchenvolksbewegung auf einen Dialogprozess eingelassen. Die katholische Kirche Deutschlands plane gar die Abspaltung von Rom und die Gründung einer Nationalkirche.

So gestimmt reist Benedikts Tross nach Berlin. Im Kopf haben die Kurienleute auch beschämende Zahlen: über die stärksten Kirchenaustritte aller Zeiten, den Rückgang der Priesteramtskandidaten. Die Deutschen sind römischen Prälaten unheimlich.

Hoheit der Italiener, Spanier

Im Vatikan, ganz schlicht, versteht man sie nicht. In der Kurie haben Italiener und Spanier das geistige Übergewicht; sie sehen „Kirche“ im Horizont ihrer Länder. Dass die deutsche Kirche viel ausgesetzter ist als die ihre, dringt nicht ins Bewusstsein oder wenn, dann erzeugt es Verdachtsmomente. Für Italiener und Spanier sind Protestanten Randphänomene. Wo die Konfessionen gleich groß und vor allem gleich wichtig sind, dann schafft das eine andere Situation; sie stellt Fragen, die anderen nicht einmal in den Sinn kommen.

In Italien ist der Draht zwischen Vatikan und Politik extrem kurz. Die Kurie – für zuständig erklärt hat sich Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone – überlässt die Kontakte nicht der Bischofskonferenz; Bertone regiert auf verschlungenen Wegen mit – und weiß: Gegen ihn traut sich oder kann Italiens Regierung keine Politik machen. Die Tatsache, dass Deutschland die „Eingetragenen Lebenspartnerschaften“ zugelassen hat und dass die Bischöfe das nicht verhindern konnten und – wer weiß – womöglich nicht verhindern wollten, lässt den Vatikan fassungslos. Und dass ein Regierungschef den Papst kritisiert – wie Angela Merkel bei der Rehabilitierung des Piusbruders und Holocaust-Leugners Richard Williamson – das wüsste man in Italien vorab zu verhindern.

Verdacht der Auflehnung gegen Rom

Horizont – das ist der brave, von den Bischöfen leicht lenkbare Massenkatholizismus. Mit einem Katholizismus, der Fragen stellt oder sich gar erlaubt Kritik zu üben, kann Rom nichts anfangen. Wer gar die Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester verlangt oder für Wiederverheiratete die Zulassung zu den Sakramenten gerät in den Verdacht von Auflehnung. Was die Deutschen im kirchlichen Rom besonders suspekt macht, das sind – im Vergleich zu vielen anderen Ländern – der höhere Stand, die andere Art und die weitere Verbreitung der theologischen Ausbildung.

Den kurialen Horizont prägt vielfach auch da die Lage in Italien. Wer dort Theologie studiert, tut das in kirchlichen Ausbildungsstätten: im Priesterseminar, bischöflichen „Fakultäten“, päpstlichen Hochschulen. An den öffentlichen Universitäten Italiens, ganz anders als in Deutschland, ist Theologie nicht präsent – ihr fehlt damit die Weite der fächerübergreifenden Begegnung, die tendenziell größere Freiheit und Offenheit des Denkens, kohärente wissenschaftliche Standards, sowie der ganz simple, alltägliche Kontakt der künftigen Priester zur Welt. Und Laientheologen, womöglich mit gleich hohem Ausbildungsstand wie die Priester, Laien in führenden kirchlichen Gemeinde-Positionen oder gar als Theologieprofessoren, die gibt es in Italien praktisch nicht.

Das heißt: Theologisch reden in Deutschland ganz anders geschulte Leute mit als solche, die nur gelernt haben, von vorneherein jede päpstliche Aussage zu verteidigen. Es melden sich – unbestritten – fachlich hochqualifizierte Personen zu Wort, aber es sind ganz andere Leute darunter, als die Vatikanprälaten das aus dem Rest der Welt und aus eigenem Erleben kennen. Das kratzt mitunter am priesterlich-bischöflichen Selbstwertgefühl und am kurialen Amtsstolz. Und das verstört.

Ja, aber: Hat es nicht ausgerechnet ein deutscher Spitzentheologe zum Papst gebracht? Als Ratzinger 2005 Papst wurde, wurde er nicht „als Deutscher“ gewählt. Ratzinger wurde gewählt wegen seiner überragenden persönlichen Autorität sowie als erprobter Wegbegleiter des „großen Johannes Paul II“. Ratzinger wurde gewählt als Mann der Kirche. Ein „deutscher Deutscher“ hätte diese Chance nicht gehabt. Es wird sie auf lange Sicht auch keiner bekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2011)

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