IWF: Finanzminister trennt eine transatlantische Kluft

(c) EPA (SHAWN THEW)
  • Drucken

Bei der Herbstkonferenz in Washington ist das Augenmerk auf die Eurokrise gerichtet. Es herrscht eine Stimmung fiebriger Nervosität. IWF-Chefin Lagarde ist bemüht, Panik zu zerstreuen

Washington. Heulende Motoren und jaulende Sirenen prägen das Bild vor dem abgesperrten Block um die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington, nur mehrere Steinwürfe vom Weißen Haus und dem US-Finanzministerium entfernt. Es ist, als wäre die Gereiztheit der internationalen Börsen und die spannungsgeladene Krisenstimmung an der Wall Street auf den Tagungsort der jährlichen Herbsttagung in der US-Hauptstadt übergeschlagen. Die Einzigen, die sich dieser Tage wegen glänzender Geschäfte nicht beklagen, sind die voll belegten Hotels und die Taxifahrer in Washington.

„Extreme Nervosität“ bemerkte auch Österreichs Nationalbank-Präsident Ewald Nowotny, ein regelmäßiger Besucher der Finanzgipfel. Drei Jahre nach dem Banken-Crash an der Wall Street und dem Bankrott der Investmentbank Lehman Brothers grassiert allerorten die Sorge vor einem neuerlichen Kollaps der Finanzwelt – nur dass diesmal die Gefahr von Europa ausgeht. So lautet zumindest die Sichtweise der USA.

Nowotny: „Geithner uninformiert“

Nicht zuletzt wegen der anhaltenden Eurokrise sinkt die Stimmung in der US-Wirtschaft in den Keller. Zusätzlich getrübt wird sie durch die düsteren Konjunkturaussichten, die Notenbankchef Ben Bernanke Mitte der Woche abgegeben hat. In der US-Regierung schrillen die Alarmglocken: Präsident Obama drängte die deutsche Kanzlerin Merkel in einem Telefonat jüngst zu einer beherzten Intervention in Sachen Euro. Finanzminister Timothy Geithner gesellte sich in Breslau vor einer Woche erstmals zu seinen EU-Kollegen – und machte dabei einen eher uninformierten Eindruck, wie Nowotny konstatierte.

Sogar Brasiliens Finanzminister Guido Mantega plagt die Furcht vor einer neuen Rezession. Dabei hat Brasilien als aufstrebende Wirtschaftsmacht dank seiner Rohstoffressourcen die letzte Finanzkrise fast heil überstanden. Wenn er Europa nun zu einem entschlossenen und raschen Handeln aufruft, spricht daraus das erstarkte Selbstbewusstsein des einstigen Dritt-Welt-Landes, das die Amerikaner wegen seiner Tiefseebohrungen im Atlantik beneiden. Aber auch Schwellenländer wie China, Indien fürchten sich jetzt vor einem Rückstoßeffekt. In diese Richtung deutet das nachlassende Wirtschaftswachstum in China – nach Boomjahren mit Wachstumraten von zehn Prozent.

IWF-Chefin Christine Lagarde, die das Szepter erst vor zwei Monaten von ihrem skandalgeschüttelten französischen Landsmann Dominique Strauss-Kahn übernommen hat, ist um Beruhigung der aufgeregten Gemüter bemüht. Die Finanzwelt stecke in einer „schwierigen Phase“, lautet ihre Sprachregelung, die sie bei jeder Gelegenheit strapaziert.

Ihr US-Kollege, Weltbankpräsident Robert Zoellick, versucht sich im Gleichklang, deutet aber unverhohlen Zweifel an. In dem Maße, in dem sich die negativen Indikatoren mehren, beschleiche ihn immer mehr die Vorahnung vor einer globalen Finanzkrise, gestand er in einem Nebensatz ein. Allenthalben ertönen die Appelle in den Konferenzsälen und in den Fluren der Finanzinstitutionen: Nur mit vereinten Kräften sei die Situation zu bewältigen. Zwischen den USA und Europa tue sich aber eine transatlantische Kluft auf, stellen Beobachter fest.

Innerhalb der EU herrsche Unverständnis über die Lösungsvorschläge der USA, erklärte Nowotny: „Die Vorstellung, den EU-Vertrag zu ändern, um den Euro zu retten, wäre keine gute Perspektive.“

Die Europäische Zentralbank (EZB) könne aufgrund ihrer Satzungen keine so expansive Politik wie die US-Notenbank verfolgen. Bei der längerfristigen Finanzierung maroder Banken ortet er ein Problem der EZB. Die Welt blickt besorgt auf Europa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.