Kehlmann: Zu ernste Geister in Princeton

Kehlmann ernste Geister Princeton
Kehlmann ernste Geister Princeton(c) APA/LUPI SPUMA (LUPI SPUMA)
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Grazer Schauspielhaus: Ein raffiniertes Stück von Daniel Kehlmann, einfühlsam inszeniert von Anna Badora - und doch ist die Uraufführung von "Geister in Princeton" über den Logiker Kurt Gödel nicht ganz gelungen.

An einer der hübschesten Stellen des Abends hat Adele Gödel genug: Alles hat sie getan für ihren Mann, den berühmten Logiker. Sie hat sich für ihn entschuldigt, wenn er andere vor den Kopf gestoßen hat; hat das Essen vorgekostet, um ihm zu beweisen, dass es nicht vergiftet sei; sie ist mit ihm ausgewandert von Wien nach Princeton, obwohl er sie immer wieder mit seinem Misstrauen gekränkt hat und weiter kränkt (So denkt der Logiker: Nur weil sie bis jetzt gut zu mir war, heißt das nicht, dass sie auch weiter gut zu mir sein muss!). Dann taucht eines Abends der Direktor des Instituts auf und will wissen, ob Kurt Gödel wirklich diesen eigenartigen Brief geschrieben hat an das Institut, beziehungsweise an dessen Rechtsnachfolger in 5000 Jahren: Sie sollen ihn abholen mit einem Zeitreisegefährt... Und wie er in diesem Brief behaupten könne, feindliche Kräfte wollten ihn vergiften.

Wie peinlich! Was für eine unangenehme Situation. Und als sei das nicht genug, hat Gödel auch noch das Szegediner Krautfleisch verschmäht! Obwohl die besorgte Adele es nach dem Rezept seiner Mutter gekocht hat!

Wider das Regietheater

Da reicht es. Adele setzt sich an den Tisch und schaufelt das Kraut in sich hinein. Erst mit der Gabel. Dann mit dem Löffel, das geht schneller. Sieh her! Ich esse! Und deine Portion gleich mit. Magst du hungern. Ich esse!

Diese Szene steht so nicht im Stück von Daniel Kehlmann. In dieser Szene hat sich Anna Badora, Chefin des Grazer Schauspielhauses, etwas getraut. Und es ist vermutlich nicht ganz leicht, sich etwas zu trauen, wenn man das Stück eines Autors zur Uraufführung bringt, der in seiner Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen so heftig gegen das Regietheater polemisiert hat. Da hält man sich besser an die Buchstaben des Textes und setzt sie penibel um. Was Badora den Abend über auch getan hat – mit großem Einfühlungsvermögen, unterstützt von einem, nein mehreren großartigen Gödel-Darstellern (Johannes Silberschneider!), einer wunderbaren resolut-damenhaften Steffi Krautz als Adele Gödel und einem atemberaubenden Bühnenbild (Raimund Orfeo Vogt).

Hoffnung auf Zeitreisen

Wenn der Abend dann doch nicht ganz gelungen ist – liegt es vielleicht am Stück? Ist es zu bieder? Nicht dramatisch genug? Keine Spur! Daniel Kehlmann, seit der „Vermessung der Welt“ einer der bekanntesten zeitgenössischen Autoren Österreichs, erzählt in „Geister in Princeton“ mit Intelligenz, Raffinement und Gespür für theatrale Effekte die Geschichte eines radikalen Denkers, der Gespenster sieht und sie mit Vernunft nicht zu vertreiben vermag, im Gegenteil. Denn wo Hoffnung auf Zeitreisen ist, erscheint die Angst vor Gespenstern nicht ganz unbegründet, sie könnten ja zum Beispiel aus der Zukunft stammen.

Solche Spekulationen und Gedankenspiele sind zufällig gerade aktuell – am Donnerstag erst haben Cern-Messungen ergeben, dass Neutrinos sich möglicherweise (möglicherweise! Kontrollmessungen stehen noch aus) schneller bewegen können als das Licht, mit dem Ergebnis, dass die Nerds das Netz mit Witzen fluten, die alle nach dem gleichen Prinzip funktionieren: „Neutrinos, die schneller als das Licht sind, werden hier nicht bedient, sagt der Barkeeper – Kommt ein Neutrino in eine Bar.“ Aber vor der Kehlmann'schen Kunst, die Paradoxien Purzelbäume schlagen zu lassen, müssten sie blass werden. Da tauchen der kleine, der junge, der mittlere und der alte Gödel nebeneinander auf und treiben ein hübsches Wechselspiel auf der Bühne. Da erzählt der alte Gödel von der Möglichkeit, durch die Zeit zu reisen – zwischen rotierenden Galaxienhaufen hindurch auf elliptischen Bahnen –, um seine Mutter wieder zu treffen. Woraufhin Einstein, mit dem Gödel eben spazieren geht, einwendet, dass dann Gödel theoretisch seine Mutter töten könnte, mit dem Ergebnis, dass er nicht geboren würde, mit dem Ergebnis, dass er die Reise nie antreten hätte können, mit dem Ergebnis, dass er seine Mutter nicht hätte töten können. Paradoxa überall, erklärt Einstein. Darauf Gödel: Aber er liebe seine Mama!

Gibt es Moskau überhaupt?

Nein, das Stück ist komisch, es ist tragisch – und man hätte sich ein Wechselbad der Gefühle erwarten können. Geworden ist es ein Abend, an dem man durchaus über so manches lachen kann (großartig die Szene in einer Bahnstation in der Mongolei, wo die beiden Beamten sich fragen, ob es Moskau überhaupt gibt, weil: „Niemand kommt aus Moskau!“). Aber alles im allem dominiert der Eindruck, Badora habe den Text zu ernst genommen, ihn vielleicht auch nicht verblödeln wollen: Aber weil in der Tragikomödie die Tragik umso tiefer ist, je freier sich die Komik entfalten darf, muss Badora nun die Tragik mit düsterem Licht und schwarzen Farben und deutlichem Pathos malen.

Hübsch, aber irgendwie auch schade.

Auf einen Blick

Kurt Gödel, 1906 in Wien geboren, stellte mit gerade einmal 25 Jahren den nach ihm benannten „Unvollständigkeitssatz“ auf, wonach nicht alle arithmetisch richtigen Sätze auch beweisbar sind. Weil man ihn für einen Juden hielt und attackierte, wanderte er mit seiner Frau Adele nach Princeton aus. Mit Albert Einstein verband ihn eine anregende Freundschaft. Gödels Krankengeschichte ist nicht erhalten, er soll Stimmen gehört haben und gefürchtet, vergiftet zu werden. Schließlich verweigerte er jede Nahrung und starb 1978.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2011)

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