Nach Unruhen in Bulgarien: Roma-Boss in Haft

(c) AP (Valentina Petrova)
  • Drucken

Schwere Anti-Roma-Unruhen erschüttern das Land. Experten machen untätige Behörden für Eskalation verantwortlich. Ausschreitungen könnten Ultranationalisten Wolen Siderow bei der Präsidentenwahl Zulauf bringen.

Wien/Sofia. Jetzt ist der Zar also dort, wo ihn viele Bulgaren sehen wollten: hinter Gittern, in Untersuchungshaft, zumindest für die nächsten 72 Stunden. „Zar Kiro“, mit bürgerlichem Namen Kiril Raschkow, wurde am Dienstagabend in der südbulgarischen Stadt Plowdiw festgenommen.

Dies könnte eine Entschleunigung der Gewaltspirale bedeuten, die das Balkanland in den vergangenen Tagen durcheinandergewirbelt hat. Schwere Anti-Roma-Proteste brachen aus, nachdem ein Verwandter Raschkows in dessen Heimatdorf Katuniza am Freitag den 19-jährigen Angel Petrow überfahren hatte. Absichtlich, wie es sogleich hieß, was den Zorn der Anwohner offenbar verstärkte.

Raschkow, ein selbst ernannter Roma-Boss mit schlohweißem Haar und stets im Anzug gekleidet, war vielen Anwohnern schon länger ein Dorn im Auge. Er soll Dorfbewohner eingeschüchtert und gegängelt haben. Er besitzt mehrere Firmen; sein Vermögen, das er unter anderem mit mehreren prunkvollen Anwesen zur Schau stellte, soll er auf nicht gänzlich legalem Wege erworben haben.

Seltsamer Rückzug der Polizei

Am Samstag hat sich eine Menschenmenge vor Raschkows Haus versammelt, am Abend gingen sein Anwesen und Fahrzeuge in Flammen auf. Die Polizei hatte das Gebäude zunächst geschützt, sich dann aber mit dem zweifelhaften Argument zurückgezogen, die Situation nicht gänzlich eskalieren lassen zu wollen.

Noch am Dienstagabend kam es in 14 Städten Bulgariens zu Protestkundgebungen, für gestern waren weitere geplant. Unter Schüler, die in patriotischen Appellen unter dem Motto „Wir lieben Bulgarien“ Roma und Bulgaren zur „Gesetzestreue“ aufriefen, mischten sich auch viele Hooligans, die mit Messern und Brandsätzen bewaffnet waren – und offensichtlich kein Interesse an einer friedlichen Lösung des Konflikts hatten. Eine – mittlerweile gelöschte – Facebook-Gruppe namens „Tod für Zar Kiro: Auge um Auge, Zahn um Zahn“ hatte über 43.000 Mitglieder versammelt. Bei den Zusammenstößen starb ein junger Mann, über 160 Demonstranten wurden in der Nacht auf Mittwoch verhaftet.

Amtsbekannter „Zar Kiro“

Etwa fünf Prozent der 7,6 Millionen Bulgaren gehören offiziell der Volksgruppe der Roma an – Experten schätzen ihre Zahl freilich auf das Doppelte. Seit der Wende werden die Roma für Kriminalität und soziale Schieflagen verantwortlich gemacht.

Dabei steht zu vermuten, dass die Ausschreitungen, die dem Ultranationalisten Wolen Siderow von der Partei „Ataka“ bei der Präsidentenwahl Ende Oktober ungeahnten Zulauf bringen könnten, hätten verhindert werden können.

Denn die gestrige Festnahme Raschkows geht auf eine Anzeige zurück, die ein paar Stunden vor dem tragischen Unfall bei der Polizei einlangte. Ein Dorfbewohner hatte ihm vorgeworfen, Menschen mit dem Tod bedroht zu haben. Es war nicht der erste Kontakt Raschkows mit den Ordnungshütern. In den vergangenen Jahren war wegen Herstellung und Handel mit gefälschten Spirituosenmarken gegen ihn ermittelt worden, sowie wegen versuchter Bombenanschläge auf eine Zeitungsredaktion in der Hauptstadt Sofia und auf eine Kommunalpolitikerin.

Der Fall des „Zaren Kiro“ ist zu einem Sinnbild für die Versäumnisse der Justiz, für Korruption und die Käuflichkeit der Behörden geworden. „Die Politik trägt die Verantwortung“, sagt die Sofioter Minderheitenexpertin Antonina Zheljaskowa zur „Presse“. „Leute wie Raschkow machen, was sie wollen.“ Dass sich der Zorn der Bürger schließlich gegen einen Rom entlud, verwundert sie nicht. „Gewalt gegen Minderheiten fällt am leichtesten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Symbolbild
Weltjournal

"Tschechien den Tschechen, Zigeuner ins Gas!"

In Nordböhmen arten soziale Probleme in Gewalt aus. Rechtsradikale machen gegen Roma mobil. Einheimischen stimmen ein. An jedem Wochenende droht der Protest zu eskalieren. Hinter den Demos steht Hilflosigkeit.
Minderheiten

Roma in Europa

Kommentare

Die Rache der „Entrechteten“

Hinter dem Gewaltausbruch gegen einen bulgarischen Roma-Boss stehen Politikversagen und Rassismus.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.